Welche Religion haben die Sorben?- diese Frage höre ich des Öfteren von meinen Gästen. Vor allem die internationalen Gäste, die noch nie etwas von den "Sorben" gehört haben, stehen plötzlich im geschichtlichen Neuland und versuchen erst einmal Parallelen zu finden.
Jetzt könnte man natürlich sagen: ganz einfach! Sachsen war eines der ersten Länder der Reformation, also protestantisch, oder? Stimmt aber nicht. Die meisten heutigen erkennbaren Sorben sind Katholisch. Nur eine anscheinende Minderheit ist Protestantisch. Das liegt unter anderem daran, das die Lausitz eben noch gar nicht so lange "Sächsisch" ist- Bautzen und das Markgraftum Oberlausitz wurden erst unter Kurfürst Johann Georg 1635 ein Teil des heutigen Sachsens, davor war es unter böhmischer Herrschaft; der Niederlausitz erging es ähnlich, sie blieb bis 1815 bei Sachsen und wurde danach ein Teil Preußens. Zum anderen waren früher mehr Sorben Protestantisch als Katholisch, aber darum soll es hier erstmal nicht gehen- das ist ein ganz eigenes (Minen-?)-Feld.
Somit ist die Frage schnell und klar beantwortet, oder? Die meisten Sorben sind katholisch, und der Rest protestantisch oder sogar konfessionslos. Wer sich die Mühe macht und etwas genauer hinschaut, wenn die Sorben ihre alten Bräuche leben- wie das Osterreiten, die Vogelhochzeit oder die Sagen von den Lutki und der Mittagsfrau erzählen, dann fragt man sich schnell, was dies alles mit der christlichen Religion zu tun hat! Schnell fühlt man sich da in einer anderen Welt- voller Geister, Dämonen und guten Helfern. Bestes Beispiel ist Krabat- der "GUTE sorbische Zauberer"! Man könnte auf die Idee kommen, das dies wie in Irland oder Südamerika ist- das, was davor schon existierte, wurde in die neue Religion integriert. Aber ganz so einfach ist es bei den Sorben nicht!
Der sorbische Glaube ist so zwiegespalten wie der ganze Volksstamm- was ist echt Sorbisch, was ist Überformung späterer Zeit, beeinflusst durch die neuen, deutschen Siedler? Und vor allem: woher kommen die Sagen? Sind dies allgemein übliche Sagen, die es auch in Thüringen oder dem Rheinland gibt- von bösen Hexen und gruseligen Geistern- oder gibt es "göttliche" Ursprünge, die sehr viel älter sind als das Christentum? Welche die ersten Sorben, damals als slawische Einwanderer aus dem Osten, mitgebracht haben? Sind sorbische Sagen viel älter, als es die Sorben selbst in der Lausitz sind? Slawisches Volk = slawische Götter- gern wird hier Svantovit als oberster Gott hinzugezogen- ein slawischer Kriegsgott, keine Frage- aber wo waren dann die Heiligtümer zu Ehren des Svantovit in der Lausitz? Man findet ihn auf Rügen nachgewiesen- aber ich kenne aus meiner Kindheit keine einzige Sage, die von einem Svantovit handeln würde! Kriegsgötter hatten bei uns Acker-Sorben wohl nie große Konjunktur...
Sorben sind nicht = Slawen. Sie sind ein Teil der großen slawischen Volksgemeinschaft, aber diese war kein Staat im heutigen Sinne. Keine Glaubensgemeinschaft, wie wir es heute von der Kirche oder den anderen Weltreligionen kennen. Was die Milcini glaubten mussten noch lange nicht die Lusici glauben- und der Gott Svantovit gehört z.B. eher zu den Ranen, die mit den heutigen sächsischen Sorben nun wieder gar nichts zu tun haben! Im Vergleich mit den irischen Sagen oder eben Südamerikanischen Bräuchen, die heute tief verwurzelt im katholischen Glauben sind und darin völlig konform aufgehen oder aber deren Ursprung aus Naturgeistern heraus klar zu definieren ist, haben die Sorben ein grundlegendes Problem: Sie wissen nicht mehr, wer ihre Götter einst waren! Es ist ein schwieriges Unterfangen, dies zu erklären, aber ich möchte es mit diesem Beispiel versuchen:
Eine der wichtigsten Sagen der Sorben ist die Mittagsfrau. Sie erscheint Mädchen in der größten Mittagshitze auf dem Feld und bedeutet den Tod, wenn das Mädchen es nicht schafft, die Mittagsfrau zu überlisten. Ein besonders kluges Mädchen erreicht dies, indem sie in aller Ausführlichkeit von der Verarbeitung des Flachs erzählt- und somit die gefährliche Mittagsstunde übersteht und am Leben bleibt. Anthropologen kommen an der Stelle gern mit dem Urglauben, das in der Mittagshitze eben Menschen am Hitzschlag starben und daraus Geschichten von halluzinierten Geistern entstanden, weil man sich anders nicht erklären konnte, was da passiert. Das gibt es überall in der Welt und damit ist es ja der "allgemeine" Glaube der vorchristlichen Zeit.
Alles richtig- aber mir stellt sich da trotzdem eine Frage: Die Stämme, die heute als Sorben bezeichnet werden kamen wohl im 8. Jahrhundert, eventuell sogar früher aus den östlichen Gebieten Europas (heutiges Polen und darüber hinaus) in die Region des heutigen Sachsen, Brandenburg und auch darüber hinaus. 929 beginnt bereits die "Germanisierung" unter Heinrich von Meißen. Um das Jahr 1000 kommt es zur Christianisierung- der alte, slawische Glaube wird verdrängt heißt es dann so schön. Aber welcher Glaube? Heidnisch? Was ist das- germanisch, slawisch, basierend auf Naturbeobachtungen? Welche Götter bringen Volksstämme mit sich, wenn sie in ein neues Kulturgebiet einwandern? Denn nur so kann es sein: die neuen Siedler lassen nicht ihre alten Götter zurück, kommen wie Neugeborene in das neue Land und entwickeln in wenigen Jahrzehnten eine neue "Religion". Die sie sich dann einfach so nehmen lassen!
Glauben ist so tief verwurzelt im menschlichen Geist, das er Jahrtausende überleben kann- verdeckt in Sagen und Märchen- und dort sicher vor Verfolgung und Bekämpfung durch die neuen Religionsanführer! Oftmals findet der Glauben sogar Eingang in die christliche Religion (Weihnachten ist wohl das Paradebeispiel für die Überformung eines heidnischen Festes durch christliche Religion). Die Welt der Sorben ist eine Andere als die ihrer deutschen Nachbarn, auch wenn sie in Deutschland leben- auch nach über 1000 Jahren sind die alten Götter noch da - versteckt in den Sagen und Bräuchen, die völlig entgegengesetzt zum Monotheismus für so ziemlich jede Situation den passenden "Geist" oder "Verursacher" kennt.
Die Mittagsfrau ist nicht einfach nur ein "Geist"- sie ist Richterin über Leben und Tod. Sie ist unsterblich- sie hat kein Alter, kann nur überlistet werden, aber nicht mit Waffen bekämpft. Alles Anzeichen für einen weiblichen Gottesaspekt- der Tod ist weiblich und er richtet Diejenigen, die gegen göttliche Gesetze verstoßen und die Sonne nicht achten! Eine Göttin hat Jahrtausende lang in einer Sage überlebt- und keiner hat diese Sage je verboten- der christlichen Großmutter fiel vielleicht nie auf, was sie da den Enkeln erzählt- oder doch? Ist da vielleicht doch noch etwas "Heidnisches" in den Sorben erhalten- eine Urreligion, die so versteckt ist, das sie es selbst nicht mehr wissen?
Dann stellt sich doch die Frage: welche Göttin ist das? Gab es eine entsprechende Göttin in den Gebieten, woher die Sorben einst kamen- und können die Sorben durch das Auffinden ihrer alten Götter einen Teil ihrer eigenen Identität wiederfinden? Zurück zu einer Zeit, in der sie die "neuen" Siedler waren und die Minderheit der Sorben geboren wurde?
Ich wuchs für 9 Jahre in einer Zeit auf, in der Religion zwar nicht verboten war, aber eben auch nicht so frei agieren konnte, wie wir es heute für selbstverständlich halten- in der DDR. Die Sorben wurden als slawischer Volksstamm ein wenig "verhätschelt"- wenn dies das richtige Wort ist. Wir wurden "vorgeführt" als die Minderheit, die eben in der DDR so gut behandelt wurde- mit allen Konsequenzen der Anpassung an das Staatssystem, aber auch Vorteilen wie dem Sorbisch-Unterricht in der Schule und der Selbstverständlichkeit, die sorbischen Bräuche schon im Kindergarten zu pflegen. Dies hatte für mich auch Vorteile- ich kenne die Bräuche und Sagen noch. Ein wenig ist vom Sprachverständnis noch da- rudimentär- aber meine eigene Herkunft ist keine fremde Welt für mich.
Kinder, die 10 Jahre später geboren wurden, haben diese Identität nicht so erfahren. In den 90ern wurde das Sorbische regelrecht "ausradiert"- mit der Konsequenz, das es nun noch weniger Menschen gibt, die Sorbisch als Muttersprache beherrschen- und mit einer noch schlimmeren Konsequenz: Die sorbischen Sagen rutschten auf einen Rang mit Harry Potter und Co -international bekannten Pseudo-Märchen aus den Federn der Fantasy-Autoren. Und plötzlich war Krabat eine Erfindung von Otfried Preußler- und ich war schockiert. Eine Sage, die wohl Jahrhunderte sorbisches Nationalgut ist, wird zur "Erfindung" eines Autoren, der vor allem in Westdeutschland bekannt ist.
Der sorbische Krabat ist ein so komplexes Thema- so spezifisch für die Region und ihr Umfeld- er funktioniert NUR mit dem historischen Hintergrund, in den die ursprüngliche Sage ihn setzt und somit ein Durchschauen der Geschichte nur möglich ist, wenn man eben die Hintergründe des sorbischen Weltverständnisses kennt! Und hier vor allem die Zusammenhänge mit der Welt der Deutschen vor der eigenen Haustür (in Form des sächsischen Kurfürsten z.B.), aber auch den Ritualen und der Glaubenswelt einer heutigen Minderheit, die sich wehrt, zu sterben, doch manchmal selbst nicht weiß, was sie wirklich so anders macht. Es ist nicht die Sprache, auch wenn sie ein Hinweis darauf ist, woher wir kommen. Es ist das tief Drinnen, der Glauben und die Überzeugung, die von der Großmutter an die Enkel weitergegeben wurden.
Die Generation der Enkel ist es, die heute dafür zuständig ist, die alte Welt der Sorben in eine neue Zeit zu führen. Ohne seine eigenen Ursprünge zu kennen, wird es schwer. Und dazu gehört es auch, seine eigene "Andersartigkeit" zu lokalisieren und herauszufinden, woher das "Anders sein" gegenüber den deutschen Nachbarn kommt. Die Antwort findet sich nicht in der gemeinsamen Religion. Sie findet sich in der Zeit, BEVOR wir alle den gleichen Gott hatten und die gleichen Werte vertraten. Keiner muss dafür seinen Glauben ändern, es gibt keinen ethischen Unterschied zwischen den "Nicht-Sorben", die auf germanischen Ursprüngen (oder sonstigen) basieren und slawisch basierten Sorben. Aber es gibt Unterschiede im Weltverständnis, in der Welt der Götter, die uns einst prägten. Und nur, wenn man diese kennt und die Ursprünge der Sorben eben nicht mit "irgendwas heidnisch-pagan-slawisches" pauschalisiert findet man die eigene Identität.
Zugleich ist es wichtig, eben nicht in die Falle zu gehen und dann alles, was Slawisch ist, als das Eigene anzunehmen. Die Zeiten des Neubeginns in einer neuen Welt haben die Sorben geprägt- und verändert. Ihre Geschichte des "Slawisch" seins zweigt im 8. Jahrhundert ab und wird eigenständig; auch das muss respektiert werden. Warum ich dies erwähne? Es gibt mittlerweile eine Strömung der "neuen Slawen", wie ich sie nennen würde, die darauf aus ist, die slawischen Völker im religiösen Sinne wieder zu vereinen- und dies mit sehr nationalistischen Methoden und Ansichten. Sorben und Russen unterscheiden sich in mehr als nur der Sprache- einen modernen, russischen Paganismus über die Sorben zu stülpen und zu behaupten, das sie alle den einen Glauben teilten ist nicht nur vermessen sondern auch wenig hilfreich, um sich selbst und seine eigene Welt zu verstehen!
Dieses Überstülpen einer anderen, größeren Ethnizität und eines Verdrängens der eigenen Wurzeln haben wir als Sorben zur Genüge erlebt. In den letzten 100 Jahren allein: Unterdrückung im Nazi-Regime bis hin zu Plänen der Aussiedlung, Unterdrückung durch Gleichschaltung im DDR-Staat, Unterdrückung durch westliche "Moderne" nach der Wiedervereinigung- teils von uns selbst verursacht! Sich jetzt als "Ur-Slawisch" einer scheinbar freieren Religionsausübung zugehörig zu fühlen wäre dann der endgültige Abschied vom Sorbischen Kulturgut! Denn zu diesem gehört eben auch die christliche Religion mit ihrer eigenen Problematik im Sorbischen zwischen Katholisch und Evangelisch. Diese Thematik allein wird kein Nicht-Sorbe verstehen- warum es bei den Sorben eben nicht egal ist, welchen christlichen Glauben man hat! Allerdings kann man dem ganz einfach beikommen, wenn sich die Sorben bewusst werden, das sie alle in einem vereint sind- in ihren Sagen und Bräuchen in ihrer URFORM.
Was es nun auf sich hat mit den Ur-Sagen und woher sie stammen wird sehr interessant werden- und ich hoffe, nicht nur Sorben und Krabat-Fans ein paar Aha- Momente bieten zu können!
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Sie verstecken sich hinter russischen Öfen, in Wäldern und Höhlen oder auf einsamen Inseln- die alten Göttinnen und großen Frauen der Slawen, sibirischen Schaman(-inn)en und osteuropäischen Mythologien. Hier haben sie sich versammelt und stellen ihre eigene Welt vor...
Das Hexenbrennen in der Oberlausitz am 30.4. jeden Jahres. Ganz klar Walpurgis oder verspätetes Osterfeuer? Oder etwa etwas viel Älteres, das nie den Mantel des Christentums sah? Überraschung, hier geht es noch ganz "Heidnisch-abergläubisch" zu- inklusive Hexengericht!
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