Ich gebe zu- es waren eher gemischte Gefühle, mit denen ich in diesem Jahr meine Chance nutzte und wie jedes Jahr als Zuschauerin bei den Krabatfestspielen vertreten war. (Nein- ich kann Ihnen keinen Tipp geben, wie man an Karten kommt, auch in diesem Jahr durfte ich wieder den Bonus der Alt-Schwarzkollmerin geniessen...). Da mich die Vorstellung im letzten Jahr persönlich trotz des enormen Engagements aller Beteiligten handlungstechnisch nicht ansprach, war die Vorfreude dieses Mal eher verhalten.
Smertniza??? Die kenne ich doch...
Bevor es losgeht liest man ja gerne mal das Programmheft- und da fiel mir ein Name auf: Johanna F. Krüger als "Smertniza". Oha. Na da haben sie sich ja was vorgenommen! Da ich nun seit einiger Zeit speziell Sepulkralkultur und slawische Mythologie sowie den realhistorischen Krabat erforsche und weiß, wie tiefgründig man gerade bei dieser Gestalt eigentlich gehen muss, kommen mir Bedenken.
Aber auch ein wenig Hoffnung, dieses Mal interessante Verbindungen erleben zu können, denn das die Krabatfestspiele auch tiefgründig in der Mythologie sein können, haben sie früher schon oft bewiesen.
Kurz gesagt: in diesem Jahr wurde sehr vieles bei den Krabat-Festspielen seitens des Drehbuchs, der Darsteller und auch der mythologischen Hintergründe ausgezeichnet gemacht und konnte auch mich überzeugen.
Das Stück enthielt sehr viele Ebenen, begonnen von der ganz im Hier und Jetzt stehenden Wirtin und dem Maibaumwerfen (mit dem hellen, freudigen Bändertanz der Jugend und dem Wunsch der ewigen Jugend), über das sofort erstmal als negativ bewertete Auftauchen der Smertniza als "Todesgöttin" (mit allen Vorurteilen, die man ihr anlastet und einem beeindruckend düsteren "Maibaum des Höllenschlunds") -und einem mit sich selbst hadernden Krabat, der eher im Hintergrund blieb.
Eine Geschichte über Krabat- oder über uns selbst?
Noch nie zuvor hatte ich das Gefühl, das die Krabatfestspiele so stark tagesaktuelle Themen und uns im Hier und Jetzt als eigentliches Thema vermitteln. Zuvor ging es immer wieder um die Liebesgeschichte, den Schwarzen Müller und die Sage an sich- doch dieses Mal wurde wirklich ein Kreis geschlossen und ein Finale geliefert. Der ewige Zwist der Ober-und-Niedersorben miteinander, die versagende aktuelle Politik (mit einem unvergesslichen August, wie er sein muss und bei dem man sich fragt, wer diese Rolle so ausfüllen kann wie Steffen Urban) sowie die Suche nach der eigenen, sorbischen Identität in der Lausitz machten das Stück aus. Ein Krabat wurde da nur noch als verlinkendes Element benötigt.
Ganz nebenbei schlich sich eine neue, eher unerwartete, Figur ein, die als Neue Generation absolut überzeugte. Eine 13jährige Schwarzkollmerin (Jolina Werner) und der alte Schadowitz im "Bildungsgespräch" zur sorbischen Mythologie und den Entscheidungen, die man im Leben fällt und wie das Schicksal einen vorantreibt. In diesem Alter stimmlich und schauspielerisch neben einem so charismatischen Darsteller wie Joachim Kaps (alter Schadowitz) zu bestehen und eine Hauptrolle zu meistern- Respekt, da hat Schwarzkollm wieder ein neues Talent am Start. Aber auch all die anderen Beteiligten, vor allem auch die ganz jungen Darsteller in den "kleineren" Rollen, konnten -wie auch in all den Vorjahren, überzeugen.
Das Schicksal spinnt seine Fäden...
Für Zuschauer, die sich mit der Smertniza nicht so auskennen sei kurz gesagt: es war die beste Darstellung, die man überhaupt zu dieser vorchristlichen, heute vergessenen (weil verdrängten?) Gestalt auf die Bühne bringen konnte.
Die Smertniza war einst nichts anderes als das Schicksal selbst, welches eben auch gefürchtet wird, weil es so unveränderlich über uns kommt und wir machtlos sind. Später- wahrscheinlich in christlicher Zeit- wurde daraus die "Göttin des Todes", die den nächsten Tod im Haus ankündigt. Es konnte natürlich nicht sein, das eine weibliche heidnische weiße Macht die Arbeit eines Gottes verrichtet...
Die anscheinende Wandlung der Smertniza innerhalb des Stückes ist also gar keine "Wandlung" der Figur, sondern vielmehr eine Öffnung unseres eigenen Geistes und eine Erweiterung des Wissens zu unserer eigenen Vergangenheit. Bisher hatte ich noch nichts von dieser Gestalt erwähnt, weil sie eben so vielschichtig ist und sich innerhalb der Geschichte der Sorben/Slawen stark gewandelt hat - somit in den Aufzeichnungen der letzten 150 Jahre immer nur als "Todesgöttin" im recht negativen Sinne und nur sehr kurz erwähnt wird.
Auch wenn Schauspieler ihre Rollen zum Leben erwecken, und Johanna F. Krüger bestens besetzt war- ohne ein wirklich tiefgründiges Drehbuch mit Basiswissen in Mythologie hätte das diesjährige Stück in meinen Augen im Bezug auf die Mythologie völlig scheitern können. So aber brachte man Verknüpfungen zwischen dem Weben der Schicksalsfäden und dem Bändertanz ein, wo es für mich gern noch die Verbindung zur Spinte hätte geben können, aber das wäre zeitlich nicht möglich gewesen. Allerdings hatten sich ein paar ganz interessante "Dämonen" eingeschlichen, die wohl die wenigsten Zuschauer deuten können, deshalb möchte ich gern ein wenig Nachhilfe liefern.
"Feuerfresser"? Nie gehört...
Dämonisch ging es zu- und so einige Kommentare wie "Stell dir vor sowas steht abends vor deinem Fenster"- "Material für Alpträume" etc. kamen im Publikum auf. Wer sie sah, wird sich wohl gefragt haben: wieviel künstlerische Freiheit ist das? Die sind doch nur erfunden, oder?
Es gibt eigentlich keine Feuerfresser-Dämonen in der slawischen Mythologie, das verrate ich Ihnen schon einmal. Feuerfresser sind nichts anderes als "Feuerschlucker", wie wir sie von Mittelaltermärkten kennen. Hier hat man sich fürs Stück eine kleine Freiheit in der Namensgebung erlaubt- um sie anzupassen an das Ziel der "Teufelsnacht" und dem Feuertod des Koraktors. Allerdings ist die Sache mit dem ausgehenden Herdfeuer und dem nahenden Unglück durchaus mythologisch überliefert, aber darauf kann ich hier aufgrund der Fülle der Seitenblicke auf Schmiedekunst, Magie etc. nicht eingehen.
Doch halt- ich kenne diese Gestalten- als sie auftauchten, dachte ich nur: wo hab ich Euch schon gesehen? Nun, da muß man etwas "über Eck" denken. Die Kikimora ist eine alte slawische Gestalt, die den Spinnrocken verwirrt (somit die Fäden des Schicksals in Unordnung bringt). Sie wird traditionell als alte hexenartige Frau mit Hühnerfüßen dargestellt, hat aber gerade auch durch ihre Funktion im Bereich des "Webens" spinnenartige Charakterzüge und wird auch in Zusammenhang mit Alpträumen/Nachtmahren gebracht.
Diese arachnoide Verbindung wurde wohl im Universum des "Witchers" (Dt. als Hexer Geralt von Riva bekannt) weiterentwickelt und führte zu den Kikimoras, welche ich aus dem Computerspiel als seltsame Spinnen/Insektenwesen kenne, die man dort bekämpft. Sieht man sich ein Bild dieser modernen Interpretation der Kikimora im Witcher-Universum und die Feuerfresser in der diesjährigen Krabat-Aufführung an, wird klar, wo da die Inspiration lag.
Wenn Ihnen also bei der Darstellung dieser "Feuerfresser" der Gedanke an Alpträume kam: Gratulation, da hat die Produktion sehr gute Arbeit geleistet!
Wie historisch korrekt kann ein Theaterstück sein?
Um es vorweg zu nehmen: wir, die derzeit Johann von Schadowitz erforschen, oder aber im Bereich der sorbischen Mythologie die Krabat-Sage behandeln, sind nicht an der Darstellung in der Krabatmühle beteiligt. Weder Hans-Jürgen Schröter noch ich haben irgend einen Einfluss auf das, was man Ihnen in der Krabat-Mühle vermittelt, sei es in der Ausstellung oder den Veranstaltungen. Wir sehen, was aus dem Krabatstoff gemacht wird- zuerst einmal natürlich als Chance für die Region und als Werbeträger. Die Darstellung vor Ort basiert nicht auf unseren Erkenntnissen; Tourismus ist eben keine reale Geschichtsforschung auf wissenschaftlicher Basis sondern vorrangig Entertainment für die Massen.
Umso positiver erscheint mir deshalb die diesjährige Aufführung, welche eben auch gut recherchierte sorbische Geschichte wie z.B. die Farben der sorbischen Fahne und aktuelle Probleme einbringt- und dies im humorvollen aber auch niveauvollen Rahmen.
Wovon ich mich mittlerweile verabschiedet habe ist die Vorstellung, das bei den Krabatfestspielen die historische Figur korrekt dargestellt wird oder aber die Sage wie ich sie aus Martin Nowak-Neumann kenne gezeigt wird. Dafür müssten die wissenschaftlichen Erkenntnisse erstmal schriftlich verfügbar sein- und ob das Publikum gewillt ist, Johann von Schadowitz als Menschen seiner Zeit und mit dem realen Lebenslauf als Theateraufführung neu kennenzulernen - wer weiß.
Aber dies ist auch nicht die Aufgabe eines Theaterstücks. Es will unterhalten und Sie eintauchen lassen in eine Fantasie-Welt. Wenn diese dann noch die sorbischen Bräuche und Mythologie beinhaltet, dann muss man als Kulturforschende schon froh sein.
Handrij Zejler wäre stolz auf Euch...
Letztendlich geht es nie darum, es allen recht zu machen, sondern einen gemeinsamen Kern zu finden. In diesem Artikel geht es auch darum, wie ich mich selbst mit der touristischen Version des Krabat arrangiere- letztendlich ist er unser gemeinsamer Nenner, ob wir nun nur ein wenig seichte Unterhaltung mit Heimat-Flair erwarten oder Hardcore-Historiker sind, die manchmal aufschreien möchten und es ganz genau (zu genau?) nehmen. In einer Sache sind wir vereint, und nach dieser suchte die diesjährige Veranstaltung: die Gemeinsamkeit aller Sorben. Diese liegt in gemeinsamen Emotionen, welche eben nicht nur über die beeindruckenden visuellen Eindrücke vermittelt werden, welche die hohe Qualität der Krabatfestspiele an sich ausmachen.
Ein Großteil unserer Gefühle wird von Tönen beeinflusst. Wenn die Stimmen des alten Schadowitz oder des Starken August auf uns wirken, dann weil sie Tiefe der Seele vermitteln. Auch die junge Katka oder die Smertniza konnten stimmlich transportieren, was optisch angestrebt wurde. Und dann, so ganz heimlich, schlich sich doch noch jemand Anderes ein... erst nur als Hintergrundmusik, dann letztendlich als Höhepunkt des Abends: die sorbische Nationalhymne von Handrij Zejler.
Man kann über Nationalhymnen verschieden denken, kann sie als antiquiert sehen- doch letztendlich sollen sie die Seele eines Volkes widerspiegeln. Ich glaube, Handrij Zejler wäre stolz gewesen- auf seine Sorben, die endlich mal zusammen singen und vergessen, das Krabatregion da ist und Seenland dort und das Dorf A ganz anders tickt wie Dorf B. Wenn dieses Anliegen nur etwas fruchten würde, wäre es auch für uns Historiker einfacher, denn dann müssten wir uns nicht mit den Animositäten Einzelner und im Zusammenspiel mit "der deutschen Seite" rumschlagen und würden einen größeren gemeinsamen Nenner mit Johann von Schadowitz finden, als ihn derzeit die Krabat-Figur liefert.
Aber vielleicht schafft es ja die junge Katka mit ihrer Neugier, den Weg des Schicksals neu zu beschreiten.
In diesem Sinne: "Laßt uns spielen!"
(Und dieses Ende verstehen nur Diejenigen, die das Stück gesehen haben, ich weiß...)