Die sorbische Oberlausitz ist eine Landschaft der eigentümlichen Art. Auf den ersten Blick herrscht hier Monokultur Kiefer. Es gibt ganz viel Sand und ein weites Geflecht aus Tagebaulöchern und der Folgelandschaft, die aus diesem Raubbau an der Natur entstand und ab dem 19. Jahrhundert das Bild nicht nur einer Landschaft, sondern auch ein Volk veränderte. Die Heide und die Sorben gehören seit jeher untrennbar zusammen. Wo die Kohlebagger kommen, muss Kultur, welche sich über Jahrhunderte entwickelte, weichen. Brauchtum geht verloren, Sprache stirbt.
Wie stark gerade dieses leise aber beständige Sterben die Sorben prägte und noch heute beeinflusst, wird oftmals nicht wahrgenommen. Viele Jahrzehnte der DDR übertünchten mit politischem Eifer und Braunkohle- Positivismus eine Entwicklung, die fast zum gänzlichen Aussterben einer kleinen Nation geführt hat, sie zugleich aber paradoxerweise auch erhielt. In welchem Zwiespalt und beständigem Kampf gegen das Sterben sich eine kleine Nation befinden kann, ist schwer in Worte zu fassen. Viel zu schnell wird aus Nation Nationalismus, aus dem Erhalten des Alten eine negative Rückwärtsgewandtheit. Aus Tradition Folklore und überhaupt- wann wollen die Sorben endlich verstehen, das sie eigentlich Deutsche sind?
In den letzten Jahren hat sich Einiges getan im Hinblick auf eine moderne sorbische Kultur. Krabat ist aktueller denn je, viele junge Sorben wagen es wieder, sich zu "outen", nachdem sie nach 1990 lieber ganz weit weg von all dem slavisch-sorbischen (russisch indoktrinierten?) Leben ihrer Großeltern gen Westen zogen. Sorbische Kita-Projekte (Witaj) ziehen Familien zurück ins sorbische Dorf- und eigentlich hat unsere Heide vor allem im Spätherbst auch ihre schönen Seiten (die Lüneburger haben es doch vorgemacht, wie man sowas touristisch verkauft, oder?). Und nicht zuletzt: bei uns kann - nicht nur- der Sorbe surfen lernen und abends an einem Leuchtturm Cocktails schlürfen. Es geht also auch anders- hier in der sorbischen Heide. Dem Kiefernmeer- Sandmeer- Nixmehr.
Ein Gedicht zum Untergang- denn Totgesagte leben bekanntlich länger...
Während meiner derzeitigen Winterpause-Recherchen kam mir das Buch: Serbska Hola. Slědy w pěsku in die Hände. Es handelt sich dabei um eine Publikation zur Sonderausstellung mit gleichem Titel (dt. In der Heide. Sorbisches auf der Kippe), welche 2013 im Sorbischen Museum in Bautzen zu sehen war. Neben vielen sehr aufschlussreichen Informationen zum Thema Sorben, Tagebau und langsamen, politisch geförderten Sterben einer einzigartigen Kultur gibt es hier vor allem auch einen themenbezogenen Einblick in die Sorbische Literatur. Und genau an dieser Stelle fand ich ein Gedicht, das ich Ihnen nicht vorenthalten möchte- denn es spiegelt sorbisch sein- sorbisch fühlen meines Erachtens sehr gut wieder. Überraschend ist für mich an diesem Gedicht vor allem Eines: das Entstehungsjahr und der Klang, den es noch heute hat. Es wirkt modern und stammt doch aus dem Jahre 1891. Und vielleicht werden Sie auch ganz schnell verstehen, warum es genau dieses Gedicht auf meine Seite, die so oft den Tod und Friedhöfe thematisiert, geschafft hat...
Serbska hola
We ćmowych rjadach ćěmne stoja chójny
kaž stare křiže čorne na kěrchowje;
a jara holu boli wbohu w hłowje,
hdyž z hrózbu mysli ji dźe na krawne wójny...
Hdyž do wjerškow so pušći wichor rójny,
přez holu jako žałosć dźe při rowje.
Po ćichich nocach płakać chce so sowje,
skót sylzy rano z wrjosa liza dójny.
A wodnjo dźiwje ćelčki hrózbnje bórča
- to mortwych Serbow duchi z wjeću šwórča-
a kałaju, zo z jědom rany bola...
Tak wboha wodnjo, w nocy želi hola
pře zaničeny lud a jeho wjerchow-
je w skóržbje njewuprajnej serbski kěrchow.
Jakub Bart- Ćišinski
Sie haben nichts verstanden? Nun, das liegt wohl daran, das diese Sprache- das in diesem Fall Obersorbische- nur noch wenige aktiv sprechen. Wer noch nie sorbisch gelesen oder gehört hat, wird kaum das Säuseln und Wispern mit all seinen Sch, Tsch und dem weichen L fühlen können, welche die sorbische Sprache ausmachen und welche leider fast ausgestorben ist. Fast... aber mal ehrlich: wie oft hat irgend Einer schon den Tod und Untergang der Sorben vorausgesagt- und sich ordentlich geirrt?
Seine Kultur zu leben und lieben heißt nicht, sich nach außen zu verschließen Auch das ist typisch sorbisch, vor allem in der Region um Hoyerswerda, aus der ich stamme. Als das Gedicht entstand, verdrängte die deutsche Sprache gerade die eigentliche Muttersprache der Bewohner- die Gottesdienste und der Schulunterricht wurden deutsch, auch wenn nachweislich die Mehrzahl der Einwohner nur sorbisch verstand. Dies war staatlich vorgegeben und passierte zeitlich noch vor dem Nationalsozialismus, der erneut versuchte, die "Wenden" zu germanisieren.
Gerade deshalb- weil das Deutsche oftmals die einzige Möglichkeit ist, sich als Sorbe mitzuteilen, bekommen Sie hier auch die deutsche Übersetzung. Wie erklärt man sonst eine fremde Kultur ohne eine gemeinsame Sprache?
Die sorbische Heide
In Dunkelheit gehüllte Kiefernriegen
wie aufgereihte Friedhofskreuze stehen,
der armen Heide Schmerz will nicht vergehen,
denkt sie ans Blut, vergossen in den Kriegen...
Wenn sich im Sturm die hohen Wipfel biegen,
tönt über ihr das Wehgeschrei der Böen.
Des Nachts hört sie die Eulen weinend flehen;
früh laben an den Tränen sich die Ziegen.
Tags brummen Bremsen wild- nach Rache dürsten
die toten Seelen wohl der Sorbenfürsten-
sie stechen und ihr Gift brennt in den Wunden...
So wird die Heide Tag und Nacht geschunden;
sie leidet´s, stumm ihr Volk betrauernd, wacker-
ist der geschlagnen Sorben Totenacker.
Nachdichtung von Pětr Thiemann