Wenn man sich mit Mythologie und der Glaubensgeschichte etwas näher befasst stößt man früher oder später auf ein sprachliches Problem. Im Deutschen und in ganz wenigen anderen Sprachen ist die Sonne weiblich, der Mond männlich. Wir haben dies irgendwie akzeptiert- auch wenn es alles gar keinen Sinn zu machen scheint. Vor allem dann nicht, wenn man nach der Machtzuteilung sucht und damit vor allem an die "Ur-Gottheit" denkt. Was war zuerst da, könnte man fragen- und wer ist wichtiger: das weibliche oder das männliche Prinzip und somit auch: wer sorgte für die vorchristlichen Sorben der Lausitz- eine weibliche oder eine männliche Kraft? Wen beteten sie an, bevor der christliche Glaube kam?
Da das sorbische Brauchtum eindeutig auf eine jahreszeitliche und vegetationsgebundene Glaubenswelt früherer Zeiten hinweist und nicht erst mir, sondern schon Karl Haupt in seinem Sagenbuch der Lausitz im Jahre 1862 auffiel, wie stark das weibliche Element vertreten ist, suche ich nicht etwa nach einem obersten Hauptgott aller Krieger mit Blitz und Donner, wie er in Perun erscheint. Um es kurz zu machen: Perun ist meines Erachtens nie ein Thema für die frühen Sorben der Lausitz gewesen- ihn als obersten Gott aller Slawen darzustellen ist eine Generalisierung christlich-germanischer Gleichschaltungswut und sollte bitte endlich ad acta gelegt werden- es gibt keinerlei Hinweise auf Perun in unserer Region! Schon allein der Umstand, das wir es mit Bauern zu tun haben und keinen Kriegern, macht einen solchen Gott unwahrscheinlich.
Ebenso ist die Existenz eines weißen und schwarzen Gottes der Lausitz ein Phantasiegebilde einer längst christlich geprägten Zeit und sagt nichts über den Urglauben aus, den das Christentum ablöste. Czorneboh und Bieleboh sind Berge der Oberlausitz, die erst seit dem 18.Jh. ihre Namen tragen, davor findet sich keinerlei Hinweis darauf, wohl aber auf einen "schwarzen" Gott der Heiden, auf den ich hier auch einmal eingehen will.
Die Nacht- der Tag.
Mutter Erde- dunkel und weiblich. Vater Himmel- hell und männlich.
Das Christuskind- oder auch Gott- himmlisch, also oben und somit der Sonne verbunden. Das Dunkle in der Erde überlassen wir dem Teufel und den Hexen, also weiblich.
Wir haben definitiv ein Problem!
In welcher "Göttergeneration" sucht man denn eigentlich? Will ich den Urgott der Slawen finden- den Erschaffer der Welt? Gibt es da einen? Oder suche ich nach der "heidnischen" Anbetung von Sonne und Mond als Zeitengeber? Offensichtlich war dies in vielen Jahrhunderten auch nicht so klar, kommt es doch immer wieder zu diesen Verwirrungen und Sonne-Mond-Kult wird mit Götterhimmel in einen Topf geworfen, weil es ja irgendwie alles der Ursprung ist.
Die alten Sonnengötter befragen...
In Griechenland ist es der männliche Helios, der den Sonnenwagen zieht. Also ist es "der" Sonne. Offensichtlich ist er aber am Himmelsgewölbe unterwegs, womit die Frage auftaucht, wer diesen Himmel und die Erde schuf? Dafür wäre Uranos zuständig- der allerdings nicht der Ursprung ist, sondern Gaia- die Erde. Diese Dame ist im griechischen Götterparthenon für so ziemlich alles zuständig- sie gebiert die Kinder des Uranos: die Titanen, die Kyklopen und die Hekatoncheiren. Aus den Blutstropfen des Uranos (sein eigener Sohn Kronos hat ihn entmannt...) gebiert sie die 3 Erinnyen. Gaia bedeutet auch: die Gebärerin. Uranos selbst war allerdings auch kein Einzelkind, sondern er hatte 2 Geschwister: Ourea, die personifizierten Gebirge, und Pontos, eine Art Seegottheit. Dummerweise übernahm der Sohn des Kronos, Zeus, später das Zepter und die Geschichte macht ihn zum Göttervater hoch im Himmel. Aus alt-griechischer Sicht wäre also die Anbetung der Mutter Erde hier unten sehr viel sinnvoller als die Anbetung der Sonne da oben.
In Ägypten ist es schon sehr viel komplizierter! Einfach gesagt ist es Re oder Ra, den man in Altägypten als Sonnengott bezeichnet. Doch das ist nur die Spitze der Pyramide, um diese Analogie vom Eisberg mal anzuwenden.
Der "Lichtgott" der Ägypter, der als Sonne selbst beim ersten Sonnenaufgang noch alles irdische Leben in sich trug, ist Atum. Er steht noch vor der Trennung zu Tag und Nacht- und er gebiert die zwei Geschlechter Schu und Tefnut. Schu wird zu dem der aufsteigt und als Gott der Luft gilt, aber auch das Leben verkörpert. Tefnut, seine Schwester und auch Partnerin, steht für das Feuer und die Wahrheit. Sie bekommen wieder Kinder und da Atum sie ohne eine Partnerin schuf, sind sie der Beginn der 2 Geschlechter, welche sich in der nächsten Generation dann in Geb, dem Erdgott und Nut, der Himmelsgöttin wiederspiegeln.
Atum ist der, der sich selbst erschuf und er wird männlich dargestellt.
In China gibt es an sich keinen echten "Weltenschöpfer", wie wir es als westlich geprägte Menschen verstehen würden. Die Göttin Nüwa ist überliefert, ihr Partner ist bereits menschlich und der Ur-Kaiser, wenn man es so einfach ausdrücken will. Sie repariert eine zerbrochene Welt und erschafft die Menschen- womit die Frage bleibt, woher diese zerbrochene Welt stammt und wen sie vorher beheimatete. Ein Zusammenhang in dieser Richtung ist also nicht zu finden. Andererseits ist auch die Erschaffung aus einem Ei überliefert.
Die Nordische und auch germanische Mythologie beginnt mit dem Nichts und kennt den Ur-Riesen, auch ist ein erster Mensch so wie auch im Indo-europäischen überliefert. Ich erkenne allerdings keine Zusammenhänge zu einer Sonnengottheit, die als Gebärende oder Erschaffende Gottheit der Welt gilt. Die Sonnengöttin heißt Sol und sie fährt einen Sonnenwagen, ähnlich dem römischen Gott Sol oder dem griechischen Helios. Ihr Gegenpol ist Mani, welcher vom Wolf Hati gejagt wird.
Sorbischer Urglauben und die (moderne) slawische Mythologie
Mit der slawischen Mythologie und vor allem der Schöpfungsgeschichte (aus einem Ei entstehen Czorneboh und Bieleboh, die die Welt aus dem Meer heben) habe ich meine Probleme, wie Sie es sicherlich schon merken. Den "schwarzen Gott" erwähnt Herold von Bosau zum ersten Mal im 12. Jh.- allerdings ist er ein Missionar, der den "Heidengott" wohl nicht wertfrei darstellen wird. Selbst wenn man ihn den schwarzen Gott nennt, ist dies kein Hinweis auf einen negativen Charakter, der einen hypothetischen Gegenspieler-den weißen Gott-bräuchte. Interessant ist allerdings, das der Grundzustand vor dem Ei das Nichts ist, welches bereits einen männlichen und weiblichen Teil tragen soll (Rod - Rodzanice). In der Folgezeit gibt es dann allerdings interessante übernatürliche Wesen, die genau den Tatbestand von Sonne und Mond erfüllen- und genau in das Bild passen, welches sich mir nach fast 2 Jahren erschließt.
Die Erde ist die Göttin Mokosch, der Himmel der Gott Svarog.
Svarog ist der Himmlische Vater, Schöpfer von Erde, Feuer und Sonne, Erfinder der Monogamie und nebenbei der Vater des Svarožić (=Dažbog). Er ist der "Himmelsschmied", und genau aus diesem Grund vergleicht ihn Johannes Malalas im 6.Jh. mit dem griechischen Hephaistos. Dummerweise schreibt Malalas keine historisch korrekte Abhandlung und nennt auch kaum Quellen für seine Feststellungen. Somit entsteht im 6.Jh. eine Schrift, die vermutlich auf die späteren Schreiber, wie zum Beispiel einen Herold von Bosau- Einfluss hatte. Und genau in diesem Begriff des "Schmiedes" könnte die Fehldeutung des "Schwarzen (bösen) Gottes" liegen. um 1190 erscheint der Deutsche Lucidarius, eine Wissensammlung zum damals aktuellen Stand der Theologie und Naturwissenschaft- Hephaistos ist dort nicht mehr göttlich, sondern er ist als teuflisches Ungeheuer und Wächter der Höllenpforte dargestellt. Der heidnische Feuerbringer wird zum Höllenfürst! Der Czorneboh ist der slawische Svarog- nicht mehr und nicht weniger- und ganz ohne einen erdachten, weißen Bruder.
Mokosch ist die "feuchte Mutter Erde", zuständig für die Fruchtbarkeit, Weiblichkeit und den Schutz der Schafe und des Spinnens und Webens.
Mokosch ähnelt bei den Polaben sehr stark der Siva, welche als einzige weibliche Göttin bereits bei Herold von Bosau erwähnt wird. Genau diese Art der Göttin oder eben lebensspendenden Natur/Erde ist in den Sagen und dem Brauchtum erkennbar. Und sie findet sich überall in der christlichen Überformung des Landes in den Marienstatuen, der Verehrung der Mutter Maria und der Helferin in der Not. Da es für Siva direkte Nachweise in mehreren Quellen gibt, auch bei Thietmar von Merseburg, ist es wohl eher "`Die Lebenskraft" (Živa), die bei den Sorben verehrt wurde.
Fazit
Sollte es wirklich möglich sein, die Urreligion der Sorben so aufzulösen? Mir erscheint die Entwicklung des Glaubens in der Lausitz absolut logisch:
Am Anfang war da ein höchster Gott, der alles schuf. Er hatte auch einen Sohn, der in Feuerkulten geehrt wurde und zum Radegast bei den Redariern wurde- einem Kriegsgott des Stammes. Diesen Radegast hat die Lausitz nie erlebt- denn bereits im 10. Jh. erfolgte die christliche Überformung. Erst ganz langsam- man ließ den Heiden die Verehrung der Natur, ihre Bräuche. Doch nach und nach wurde aus dem männlichen Aspekt der zwei Götter der christliche Gott. Der christliche Gott löste somit Svarog ab, der zum Czorneboh wurde.
Anders verhielt es sich mit dem weiblichen Aspekt dieses Urglaubens. Er hielt sich aufgrund seines gebärenden, Leben schaffenden Aspektes und in Form des Jahreskreislaufes von Werden und Vergehen in den Köpfen der bäuerlichen Sorben- denn das Wetter und der Verlauf von Sonne und Mond als Zeitgeber war für sie sichtbarer als ein himmlischer Gott, den man auch in abgewandelter Form in der Kirche durchaus als guten Wohltäter wahrnahm.
Langsam wird Siva zu Maria. Ihre Heiligenbilder ersetzen in manchen Orten die Kultbilder der Siva, so wohl geschehen in Schipkau bei Senftenberg (und auch in Schwarzkollm?). Sie kann man nicht verteufeln- es gibt keinen weiblichen, bösen Konterpart zu Gott- also muss man sie zur guten Mutter des neuen "Gebenden" machen. Jesus gibt sein Leben für die Menschheit, dafür dankt man ihm. So ist auch der unsichtbare Aspekt des Dažbog, der vielleicht noch in den alten Zeiten aktuell war, abgedeckt.
Mythologie kann man zurechtbiegen und verändern, wie man es gerade braucht- sie merken es. Dies ist meine Version, welche sich mir für die Region um Schwarzkollm und mit Blick auf einige andere Orte mit ihren Sagen in der Mittellausitz erschließt. Sie müssen dies nicht glauben. Aber vielleicht müssen Sie nun auch nicht mehr den Wikipedia-Artikeln oder anderen Quellen vorbehaltlos glauben, die Ihnen einen großen, slawischen Götterpantheon á la Germanischer Mythologie überliefern wollen. Die Sehnsucht vieler Slawen nach einem eigenen, großen Urglauben existiert ungebrochen, schaut man auf die historischen Quellen und ist kritisch, bleibt für die sächsische Lausitz nur das Urprinzip, dem das Christentum (bewußt?) artverwandt ist sowie die Beobachtung der Natur im Jahreskreis.
Das Urkonzept der Entstehung der Welt ist nicht auf "Böse" und "Gut" basierend, sondern oftmals auf dem Aspekt von Sonne und Mond sowie weiblich und männlich. Ägypter, Griechen und auch die Slawen wussten es, nur hat die (moderne) slawische Mythologie einen seltsamen Hang zum Schwarz-Weiß- Denken in sich, der offensichtlich in christlicher Zeit entstand.
Betrachtet man vor allem die Krabat-Sage, dann sollte einem schnell bewußt werden, das ein Schwarz-Weiß-Denken in so einfacher Form (Gut-Böse) eher untypisch für die sorbische Kultur ist. Krabat ist ein weißer Zauberer- ein Mann des Lichtes. Doch er nutzt dafür den Koraktor- das schwarze Zauberbuch des Müllers, und alles, was er weiß, hat er in der Schwarzen Mühle gelernt. Nur bei den Sorben schafft es wohl ein Hirtenjunge zum Zauberer und Nationalhelden in einer Person zu werden- in einer Zeit der Hexenjagd und tiefer christlicher Religiosität!
Ob die Sonne nun weiblich ist und der Mond ein Mann- oder andersrum- ist dies so entscheidend? Der Dualismus ist das, was diese Welt ausmacht. Ein Urgott erschafft nur einmal eine Welt- der Mensch braucht dazu noch immer 2 gegensätzliche Teile seiner selbst, um seine Zukunft zu erhalten. Und auf jeden Sommer folgt ein Winter, auf jeden Tag eine Nacht. Nur weil diese Regeln unumstößlich sind, existieren die Mythen der Menschheit und der Glaube an eine höhere Macht, die alles lenkt. Und auch bei unserem traditionellen Krabat der Sorben braucht es eine Mutter, die ihn rettet (oder eben eine andere junge Dame). Das weibliche Element bei den Sorben ist nicht zu verleugnen- auch wenn es oft übersehen wird!