Eigentlich suchte ich doch nach den von Schönfelds und den von Grensings...
Im Jahr 2020 kurz vor Weihnachten hatte es mich nach Freital-Döhlen zur dortigen Denkmalhalle neben der Lutherkirche sowie zu den beiden Friedhöfen verschlagen. Schon damals sah ich reichlich "Potential", machte mir aber kaum Hoffnungen zur Geschichte des Friedhofes, vor allem zum Alten Teil, etwas zu finden. Sicherlich- die Denkmalhalle sowie das eine, wirklich beeindruckende Groß-Grabmal, zu dem ich mich später noch gesondert äußern möchte, bieten sich an. Dazu schrieb ich dann auch einen ersten, kleinen Artikel zu Elisabeth von Grensing.
Da ich aber gern auch mal links und rechts des Weges suche und mich leiten lasse, stieß ich auf ein ganz besonderes Schriftstück, das ich Ihnen heute gern etwas näher vorstellen möchte. Manchmal reicht es schon, etwas "zu überfliegen", um darin so viel Potential zu sehen, das man es erstmal für ein Jahr zur Seite legt, weil der Inhalt eben mehr bietet als anfangs geahnt und e wohl auch mehr als diesen Artikel braucht, um die Friedhofsgeschichte von Freital-Döhlen und die Verbindung zu mindestens 2 Adelsgeschlechtern zu betrachten.
"Auff Begehren vieler Fromen Christen in Druck gegeben..."
Es waren letzten Endes die Adelsnamen derer von Schönfeld und derer von Grensing, die in der Denkmalhalle zu Döhlen so reichlich vertreten sind, die mich zur Einweihungspredigt des Gottesackers zu Döhlen aus dem Jahre 1629 führten. Der damalige Pfarrer Andreas Tamitius (übrigens der Vater des Orgelbauers Andreas Tamitius, welcher am Hofe Johann Georgs II. die damals bekannte Orgelbauerdynastie Tamitz begründete) ließ seine Einweihungspredigt in Druck geben, und so blieb diese bis zum heutigen Tage erhalten.
Dabei handelt es sich eigentlich um eine Leichenpredigt- sprich: den Text zur Beerdigung der ersten Verstorbenen, die auf der nun zum Begräbnisort ausgewiesenen Flur bestattet wurde. Erscheint dies für uns Heutige vielleicht seltsam, war dies damals bei Neugründungen von Friedhöfen absolut üblich und ist auch für die Friedhöfe in Dresden und darüber hinaus nachweisbar. Was die Sache so interessant macht ist wohl eher der Umstand, das hier am Grab nicht etwa nur die Familie und ein paar Untertanen zu finden waren, sondern das dieses Begräbnis der "kreissenden Frawen, Georgis Gawens (?) zum Nieder Heselicht Eheweibe, welche in der Geburt, sampt ihrer Leibesfrucht Todes verblichen ist..." zum Großereignis wurde. Es wird explizit erwähnt, das viele Adlige und andere Gäste anwesend waren.
Und so liest sich die Widmungsliste, welche Pfarrer Tamitius voran stellt, wie ein Who-is-who des Freitaler Lokaladels, allen voran Hans Haubold von Grensing, welcher der damalige Lehnsherr auf Döhlen war und einen Teil seines Ackers für 300 Gulden der Gemeinde zur Verwendung als Neuer Gottesacker verkaufte.
"...daß man die Todten vielmehr ins Wasser, als in die Erde geleget hat..."
Den Grund für den neuen Gottesacker erläutert Pfarrer Tamitius recht bald: Überfüllung des alten Friedhofes (direkt an der Lutherkirche gelegen), so daß die Leichen nicht lange genug Zeit haben zu verwesen (Übrigens einer der Hauptgründe für die Gründung vieler Friedhöfe, der uns heute völlig fremd ist). Ein weiterer, sehr wichtiger Grund in Döhlen war aber anscheinend auch ein massives Wasserproblem, welches zu Bestattungen der unschönen Art und eben auch zu den Problemen bei der Verwesung führten. Kurzum: die Zustände auf dem alten Friedhof müssen grauenvoll gewesen sein!
Das der Tod zur damaligen Zeit viel selbstverständlicher als heute war und eben zum Leben dazu gehörte, wird in der Predigt und in den Ausführungen, wie der neue Gottesacker wahrgenommen werden soll, deutlich. Wird die eigentlich Bestattete ansonsten kaum erwähnt, erfahren wir hier sogar etwas zu ihrem langen Leiden: 12 Jahre lang hatte sie den "Blutgang" und kein Arzt oder Arzney konnte helfen. Aber was ist das eigentlich: der Blutgang? Da sie zusammen mit ihrem Kind bei einer Geburt starb, vermutet man vielleicht zuerst etwas in der Richtung "Frauenleiden", liegt damit aber falsch.
Es handelt sich wohl um die "Rote Ruhr", in ihrem Fall wahrscheinlich ausgelöst durch eine bakterielle Infektion durch schlechte hygienische Verhältnisse. Meist trat die Ruhr auch als Resultat nach Überschwemmungen auf. Und an dieser Stelle kommt dann wieder etwas zusammen, was man wohl als Zufall sehen kann: Im Mittelalter war Döhlen ein Wallfahrtsort, da einer Sage nach das Kreuz bei der Lutherkirche durch ein Hochwasser angeschwemmt worden war. In der neueren Geschichte sind uns allen wohl noch die katastrophalen Hochwasser der Weißeritz, vor allem im Jahre 2002, in Erinnerung. Seltsam ist allerdings, das die Frau so lange an der Krankheit litt- aber dies überlasse ich gern Menschen vom Fach, auf den ersten Blick gibt es keine "Chronische" Ruhr und die Frau müsste sich immer wieder von Neuem angesteckt haben- oder die damalige "Diagnose" war falsch und es handelte sich im eine ganz andere Erkrankung.
Dank der Predigt erfahren wir auch, das das Schmücken der Gräber mit Steinen, schönen Kreuzen und Bildern schon im Jahre 1629 als Ehrung der Toten gang und gäbe war und dies auch auf dem neuen Gottesacker angestrebt wurde. Angesichts dessen, wie wenige Grabmäler der "kleinen Leute" aus dieser Zeit noch zu finden sind ist dies eine interessante Aussage und die Frage bleibt offen, wie dieser Friedhof um das Jahr 1700 aussah...
Ob die genannten Adligen der von Schönfeld und von Grensing hier oder anderswo bestattet wurden entzieht sich vorerst meiner Kenntnis, doch eines ist gewiss: es gibt schlechtere Orte zur letzten Ruhe- oder zum seeligen Schlaf, nach damaligem Verständnis.
"...so folget das dieser Ort ein Schlafhaus worden ist..."
Das der Blick auf den Tod zur damaligen Zeit ein völlig anderer war als der Heutige, welcher eher durch "Panik vor dem Ende" als durch "Memento Mori" geprägt ist, ist wohl Vielen klar. Das man hier in Döhlen allerdings bereits im Jahre 1629 den Beginn eines "Toten-Paradieses" erschuf, der uns heute wie eine andere, vergessene Welt begegnet, war wohl damals noch nicht bedacht worden.
Man betritt hier ein "Coemeterium" -Lateinisch für "Schlafkammer", im englischen bis heute im "Cemetery" erkenntlich, französisch "Cimetiére". Wir Deutschen finden hier unseren (letzten?) Frieden oder auch die Freiheit und neigen somit wieder einmal zur praktischen Endlichkeit und Faktentreue im eingefriedeten Bereich. Den Tod als Schlafes Bruder zu sehen könnte so einigen Lebensgestressten aus dem Leid der Endlichkeit und dem Druck des "Altwerden müssens" befreien, die Verwunschenheit des alten Döhlener Friedhofes empfiehlt sich zur Erdung, wie mir scheint.
Bereits 1629 ist den Döhlenern die besonders schöne Lage des Friedhofs als hochgelegener und luftiger Ort wichtig- wohl eher aufgrund der Hochwassergefahr und mit guter Belüftung angesichts der Dämpfe der Toten, doch im damaligen Verständnis eben auch zur Ehrung der Verstorbenen und nicht zur Erbauung der Lebenden. Auch soll der evangelische Gottesacker nicht irgend einem "papistischen"(!) Heiligen verehrt werden- selbst bei einer Friedhofsweihe schafft es der überzeugte sächsische Protestant zur damaligen Zeit die Papisten zu verurteilen, ich empfehle Seite 31 dieser Schrift genauer zu studieren...
Im Jahre 1852 wird eine weitere "Beschreibung der Feierlichkeiten, welche bei der Einweihung des neuen Gottesackers in Döhlen stattgefunden haben" herausgegeben werden. Die Zeiten des alten Terrassenfriedhofes sind vorbei. Eine Schlagwetterexplosion im Segen-Gottes- und Neuhoffnungsschacht 1869 in Burgk wird zum Auslöser für die Erweiterung des bisherigen Terrassenfriedhofes und führt zur Umweihung einer Familiengrabstätte, von der ich allerdings ein anderes Mal berichten möchte.
Für Interessierte ist es wichtig zu wissen, das dieser alte Teil des Döhlener Friedhofes nicht ganz ungefährlich ist- nicht immer ist klar, was da unter dem Efeu versteckt ist! Wie lange die Bereiche überhaupt noch öffentlich zugänglich sein werden ist mir nicht bekannt, vermutlich wird aber auch dieser Teil der sächsischen Friedhofsgeschichte eines Tages völlig vergessen sein, wenn ihn niemand bewahrt. Momentan ist es eine Schlafkammer des Todes, und hat somit auch einen gewissen Reiz.