"Chorosć přiźo z ekstrapóstom, polěpšota z wołkami"- von der Volksweisheit und der "magischen" Heilkunst der alten Sorben


"Die Krankheit kommt mit der Extrapost, die Besserung mit Ochsen." (niedersorbisches Sprichwort)

 

Dieser Satz, gefunden in einer Fußnote in Wilibald von Schulenburgs "Wendisches Volkstum in Sage, Brauch und Sitte" von 1934, vermittelt eine sehr interessante Volksweisheit, wie sie Jahrhunderte lang und nicht nur in der sorbischen Lausitz, verbreitet war. Die Krankheit kommt schnell - die Heilung ist langsam...

 

In Zeiten, in denen wir jederzeit einen Notarzt rufen können, wenn etwas geschieht vergessen wir oft, das dies für viele Jahrtausende so gar nicht denkbar war. Die Krankheit als solche war lange Zeit ein wahlweise göttliches Mysterium oder dämonischer Feind, und nur der Glaube half, wenn die verfügbare Kräutermedizin keinen Rat wusste. In einer Region wie der abgelegenen sorbischen Lausitz um Hoyerswerda war ein Arzt meist nicht verfügbar- und selbst dieser hätte lange Zeit eher dubiose Heilmethoden angewendet, zu denen ich mich schon einmal in diesem Artikel geäußert habe. 

 

Der Henker und das Hospital - Tod und Leben liegen oft so nah...

 

Als gebürtige Schwarzkollmerin und mit dem Hintergrund der Forschungen zur Medizinisch-Pathologischen Geschichte in Sachsen fragte ich mich natürlich, an wen sich der verletzte Bauer im Ernstfall wenden konnte. Hilfe fand man für viele Jahrhunderte bei Henkern oder Scharfrichtern, die einem nicht nur  den Kopf abschlagen konnten oder auf jeglich erdenkliche Art das Jenseits näher bringen, sondern meist auch über solides anatomisches Wissen verfügten und sich auch als "Chirurgen" betätigen konnten. Zum anderen hatten sie Zugang zu den heilsamen Mitteln wie Hundefett, Armsünderfett (Menschenfett von den Hingerichteten) sowie z.B. Totenhänden, denen besondere heilmagische Wirkungen zugesprochen wurden und auch sonst sagte man ihnen und ihren Frauen so einiges nach...

 

Den Scharfrichter von Hoyerswerda findet man auf alten Karten noch dort eingezeichnet, wo heute in etwa das TREFF 8- Center ist. Ganz unpassend ist der Ort nicht einmal- heute ist dort in direkter Nachbarschaft das städtische Klinikum. 

 

Für die Stadtbevölkerung gab es sicherlich bereits im Mittelalter einen Bader o.ä. in der Stadt, in der Auflistung der Besitzer der Bürgerhäuser von 1851 findet sich allerdings keine Erwähnung eines Arztes, nur das der Stadt zugehörige Hospital wird dort erwähnt. Es war 1727 erbaut worden und stand auf dem alten Friedhof, wo sich heute der Jürgen-von-Woyski-Park (ehemals Stadtpark) befindet. Mit 5 Zimmern für Kranke und Betagte sowie einer Totengräberwohnung kann es wohl kaum als wirkliches "Krankenhaus" bezeichnet werden, so wird es auch eher als Armen-und Siechenhaus vermeldet. Ob die Atmosphäre inmitten eines Friedhofes heilsam wirkte oder eher an die eigene Endlichkeit gemahnte überlasse ich Ihrer Deutung... Ab 1898 verfügte man mit dem Kaiser-Wilhelm-Krankenhaus an der Wittichenauer Strasse über ein modernes Krankenhaus mit Operationssaal. Seit 1968 gibt es das Neustädter Krankenhaus, welches somit den Kreis zum Scharfrichter des Mittelalters wieder schließt.

 

 

"Den Schäfern ist die Behandlung kranker Menschen unbedingt verboten..."

 

Interessant im Zusammenhang mit dem verfügbaren Wissen durch praktische Erfahrung sind in der Vergangenheit allerdings auch einige Berufsgruppen, die wir heute nicht unbedingt als "Heiler" ansehen würden, allen voran die Schäfer und Hirten. Diese gab es im Bereich Hoyerswerda allen Ortens, auf den alten Landkarten finden sich überall die Angaben zu den Schäfereien der Dörfer, wie auch Angaben zu Schmieden. Beide Berufsgruppen hatten Erfahrung mit Tieren und wie man sie heilt- Knochen einrenken, Muskelschäden mindern, aber auch Wunden verarzten war für das Tierwohl essentiell- und so viel anders sind Schaf und Mensch dann auch nicht im Grundaufbau. Das dies der Obrigkeit gar nicht gefiel- wohl auch, weil nicht jeder Hirte über genügend Wissen verfügte, um eine Schulter einzurenken und auch mehr Schaden als Wohl entstehen konnte, gibt es im Laufe von Jahrhunderten immer wieder gesetzliche Verbote dazu. Schäfer, Hirten, Schmiede, aber auch Wasenmeister wurden mit Bußgeldern bestraft, wenn sie ihre Künste bei Menschen anwandten.    

 

Generell fällt auf, das meist die "unehrlichen" Berufe oder solche, die immer wieder mit dieser Brandmarkung zu kämpfen hatten, im Ernstfall das meiste Wissen zur Medizin oder Behandlung hatten. Wer geheimes Wissen zu Pflanzen und Heilkunde oder auch Körperbau besaß, fiel aus der Norm. Die Sicht auf die "Götter in Weiss" ist also gar nicht so neu- nur waren diese Wissenden früher vielmehr Diejenigen, die eben auch den Tod bringen konnten oder Übel verursachen und demnach dubios und wenig geliebt. Heilung und Schaden liegen oftmals sehr nah beieinander- und so ist es nur ein kleiner Schritt zu der Bevölkerungsgruppe, die wir Heutigen wohl am ehesten im Zusammenhang mit Kräuterwissen im "Mittelalter" verbinden: den weisen Frauen und "Hexen". 

 

Da es allerdings gerade um die "Knochenbrecher" und auch um den Ort Schwarzkollm geht: Kennen Sie noch den Begriff "Ziehmann"? Ich schon. Den gab es bei uns noch in meiner Kindheit im Ort- gleich schräg über die Strasse bei "Wolschke" wurde man in Pulmotin-geschwängerter Luft (oder was auch immer den Geruch auslöste?) in seiner kleinen Kammer wieder "eingerenkt". Es tat erstmal richtig weh, aber dann war es ziemlich schnell wieder gut. Heutzutage werden Schonung, Tabletten und Bewegungstherapie vom Physiotherapeut verschrieben, damals war man 3 Tage nach dieser Hauruck-Behandlung im dunklen Kämmerlein wieder fit. Etwas mehr zum Thema erfahren Sie übrigens in diesem Artikel der SZ, der von der Geschichte der Ziehmänner in unserer Region etwas mehr verrät.

 

Krabatmühle Schwarzkollm Bild: Susann Wuschko
Gut oder Böse? Das kommt ganz auf die Deutung an. Das Pentagramm war im Altertum das Symbol für die Gesundheit und bei den frühen Christen sogar das Symbol für die Wunden Christi.

"Gegen Trunksucht soll man junge Mäuse in Branntwein kochen..."

 

Glaubten Sie bisher wirklich, das die alten Sorben in früherer Zeit ihre eigene "Dorfhexe" im dunklen Wald hatten, zu der man heimlich ging, wenn ein Mädchen ungewollt schwanger war oder die Kuh nichts fraß? Ich fürchte, Sie unterschätzen den Volksglauben und die Macht der (göttlichen) Worte und des Blutes, das dicker als Wasser ist... denn eines fällt mir immer wieder bei meinen Recherchen auf: Wo sind eigentlich die Hexen? Oder die "weisen Frauen", die einer über Jahrhunderte wütenden Inquisition auffielen und dann öffentlich verbrannt wurden?

 

Wir verbrennen unsere symbolische Hexe noch heute am 30.4.- doch wenn man in die Geschichte schaut, ist es da verdächtig still. Überall in Thüringen, in Brandenburg, in größeren Städten und generell in der Welt finden Sie regelrechte Brandjahre der Hexenverfolgung. Ich kann Ihnen versichern- ich suche danach. Doch langsam wird es seltsam, denn es scheint so, als hätte es in der sorbischen Lausitz, vor allem im Bereich Hoyerswerda keine wirklichen "Hexen" gegeben. Brandstiftung, Mord und derlei sind leicht zu finden- Wetterzauber? Viehbehexung? Üble Nachrede der neidischen Nachbarin? Fehlanzeige. 

 

Dagegen aber auch: lange Auflistungen, wie man Krankheiten bespricht (mit dem Segen des Herrn!), verrückte, manchmal wirklich eklige "Heilmethoden" des Aberglaubens und Sprichwörter voller Magie. Liest man diese, dann scheint es fast so, als wären alle sorbischen Hausfrauen irgendwie auch zum Teil "Hobbyhexe" gewesen, obwohl sie gleichzeitig sehr gläubige Christen waren, was sich oft in den verrücktesten Überzeugungen der Heilwirkung mit Gottes Segen zeigt. Ich kenne es auch aus der eigenen Familie. Was da wie passieren muss, Was man Wann nicht tut- Aberglauben, Volksüberlieferung, Weissagung- alles nah beieinander und wohl für den außen Stehenden völlig unlogisch. Für uns macht alles Sinn.

 

Man bringt keine Blumen vom Friedhof mit heim, damit trägt man den Tod ins Haus- nur ein kleines Beispiel. 

 

Verrückt wird es, wenn man, so wie ich, mit diesen Sprüchen aufwuchs; sie schon längst vergessen hatte. Und dann liest man zu Studienzwecken Bücher, die vor 140 Jahren geschrieben wurden- und die genau diese Weisheiten der Sorben schon damals genau so verzeichnen. Ich weiß, das meine Spitschka-Oma diese Bücher nie zu Gesicht bekam- doch sie hatte all das Wissen in sich. Und genau da liegt wohl auch der Grund, warum es bei uns anscheinend keine Hexen gab. Sie können die Fremde im Wald bezichtigen- aber legen Sie sich nie mit der eigenen Großmutter an- die wusste es schon immer besser!

 

In diesem Sinne: viel Spaß beim Entdecken der "Sorbischen Magie und Heilkunst" der etwas anderen Art! (Und natürlich gab es diese Rezepte auch in ähnlicher Form in Bayern und an der Nordsee, wie ich vermute.)

 

 


Hier ein kleiner Vorgeschmack, welch wundervolle "sorbische Hexenrezepte" es gibt :

 

"Gegen Trunksucht soll man junge Mäuse in Branntwein kochen, diesen durchseigen und in anderen Branntwein hineingießen, denselben muß dann der Trinker (Trunkenbold) austrinken."  

 

Bei diesem Rezept stellt sich mir eine wichtige Frage: wer bewertet eigentlich, wann einer ein Trunkenbold ist? Wenn Sie jemals an einem sorbischen Zampern teilgenommen haben dann kennen sie die Trinkfestigkeit der Sorben. Das Mittelchen scheint mir daher nicht sehr oft angewandt worden zu sein, da das Maß des Exzesses wohl selten erreicht wurde... ich hoffe es zumindest für die armen Mäuse.

 

 

In Kürze mehr dazu....