Jungfernstein und Hankabrunnnen- "heidnischer Opferplatz" und "die Unschuld vom Dorfe" treffen auf eine alte Göttin der Slawen


Bei meinen Recherchen auf alten Meißner Landkarten stieß ich auf eine seltsame Erkenntnis. Die Region, aus der ich stamme, besteht im Jahre 1568 auf der Karte des Bartholomäus Scultetus aus genau 4 Orten. Es werden Senftenberg, Hoierswerda, Wittichenaw, und Camitz dargestellt. Das wäre nichts Besonderes- dies sind damals die größten Orte der Region. Seltsamerweise ist aber in dem Bereich, wo heute Schwarzkollm zu verorten wäre, etwas eingezeichnet, von dem ich noch nie etwas gehört hatte zuvor. Ein Berg. Oder Stein, um genau zu sein. 

 

Die Karte zeigt 2 steinerne Erhebungen und gibt mit einem roten Punkt einen Ort darunter an: Jungfernstein. Ich lebte 20 Jahre in Schwarzkollm- ich wuchs mit dem Wissen auf, welche Orte ringsherum liegen und dachte auch, ich würde die allgemein üblichen Sagen der Region kennen. Ein wenig konnte ich über diesen Stein herausfinden, mein Vater wusste auch etwas dazu- zumindest, wo er war und das es heute ein anderer Hügel als der Ursprüngliche ist, der diesen Namen trägt. Seit dieser Entdeckung vor etwa 4 Monaten begleitete mich dieser seltsame, so unbekannte Hügel nahe Leippe.

 

Wenn Projekte zum Puzzle werden...die "Gefallene" von Schwarzkollm

 

Durch ein neues, sehr umfangreiches Forschungsprojekt, von dem noch nicht allzu viel verraten werden soll, kamen plötzlich ganz neue Erkenntnisse. Plötzlich sprangen mich Dinge förmlich an- und immer wieder die Frage: Warum wiederholt sich die Geschichte immer wieder? Ist es eine Sage, ist es eine erzieherische Erzählung, warum ist es überhaupt so wichtig für eine Siedlungsgemeinschaft, beginnend in der Bronzezeit und noch bis in meine Kindheit hinein, einen Status im Leben einer Frau so dermaßen in den Vordergrund zu stellen? Kann man dieses Thema überhaupt aus heutiger Sicht bewerten?

 

Genau dieser Fakt, der mich als moderne Frau des 21. Jahrhunderts immer wieder irritiert war es, der zu diesem Artikel führt. In der Schilderung des David Traugott Kopf zu seiner Kindheit in Schwarzkollm, auf die mich der Genealoge Herr Hans-Jürgen Schröter in unserer Zusammenarbeit aufmerksam machte, stockte ich bei diesen Zeilen:

 

"Ich habe, solange ich in meiner Aeltern Hause war, keinen betrunkenen Menschen gesehen, von keinem Bewohner je gehört, das er Schulden hat; nur ein Frauenzimmer lernte ich kennen, welches unehelich geboren hatte. (...)

 

(...)Ein Frauenzimmer, welches unehelich geboren hatte, durfte keinem Tanzvergnügen beiwohnen; es war auf immer geächtet."

 

aus: Das pädagogische Deutschland der Gegenwart. Oder: Sammlung von Selbstbiographieen jetzt lebender, deutscher Erzieher und Lehrer. Für Erziehende, Band 2 Friedrich Adolph Wilhelm Diesterweg Verlagsbuchhandlung von Carl Friedrich Plahn, 1836 (Seite 57)

 

David Traugott Kopf war ein sorbischer Pädagoge mit religiösem Hintergrund- seine Schilderung könnte durchaus einen erzieherischen Aspekt haben und es spiegelt die Moralvorstellungen des Bürgertums im 19.Jh. wieder, die wir im 21. Jahrhundert wohl eher als befremdlich wahrnehmen. David Traugott Kopf spricht vom Wirtshaus, den Kartenspielen und dem Tanz ganz frei- ohne dies in irgend einer Form zu verurteilen- doch diese eine Frau aus Schwarzkollm, diese eine Gefallene prägte sich ihm so stark ein, das er sie Jahre später als die schlimmste Sünderin in der gesamten Gemeinschaft erscheinen lässt. Nichts scheint schlimmer zu sein als die Verfehlung der unehelichen Geburt eines Kindes. 

 

Man könnte die Geschichte damit beenden- das war die Moralvorstellung damals und die herrschte überall. Aber gibt es überall- in jeder Gemeinschaft- gleich so viele Hinweise aus den verschiedensten Epochen, die alle auf einen gemeinsamen Nenner kommen?  Und wurde die Weiblichkeit und ihre Moralverstöße immer zu einem so öffentlichen Thema, das Sie ganze Sagen entstehen ließ? Die folgenden Puzzleteile sprechen wohl eine eigene Sprache der Wichtigkeit des Einhaltens dieser Regeln rings um einen besonderen Jungfernstein. 

 

Die Moralpredigt beim Tanze...

Der ungeschickte Rock

(sorbisches Tanzlied aus Kotten bei Wittichenau)

 

"Ei, was sind das doch für Schneider,

Die dir solchen Rock genäht?

Viel zu kurz ist er dir vorne,

hinten ist er viel zu lang."

 

"Daran sind nicht schuld die Schneider,

Daran sind die Burschen schuld."

"Schicke nur zu einem Arzte,

Doch der hilft dir auch noch nicht."

 

"Zu dir wird der Arzt nur sagen:

Kind, mit dir ist´s richtig nicht!

Trüglich fuhrst du mit den Burschen,

Nun betrogst du selber dich."

 

Jämmerlich das Mägdlein weinte,

Hielt das Söhnlein in der Schürz.

"Weine nicht, mein Kind, und schweige,

Du tust mir ja selber leid."

 

"Weine nur, mein Mägdlein, weine,

Weine du nur noch vielmehr.

Wisch die Augen dir mit Steinen,

weine du nur noch viel mehr."

 

"Ei, da wär ich doch recht thöricht,

wenn ich weinte immerfort.

Und viel thörichter noch wär´ ich,

Wischt´ ich mir die Tränen ab." 

 

aus: Volkslieder der Wenden in der Ober-und Niederlausitz 1.Band. Joachim Leopold Haupt, Jan Ernst Smoler. Grimma 1841 

 

Die Sorben sind ein Musikalisches und Singfreudiges Volk- und bei den vielen Liedern zum "Fensterln", wie man anderswo sagt und den Liebeleien darf die moralische Lehre wohl nicht fehlen... Schöne Augen machen ist ja  erlaubt, aber wehe, es hat Konsequenzen... Wie schon bei David Traugott Kopf zeigt die dörfliche Gemeinschaft sich in voller Härte, wenn die Jungfer den Status der Familie verletzt. Dies war wohl die größte Angst- das die Tochter der Familie dem ganzen Hof, dem sie angehörte, Schande bereitete.

 

In einer kleinen dörflichen Gemeinschaft, deren verwandtschaftliche Verbindungen auch untereinander nicht zu unterschätzen sind, war es durchaus wichtig, wer mit wem zusammenkam. Welcher Hof mit welchem anderen Hof verbunden wurde. Innerhalb der Dörfer wurde von Generation zu Generation geheiratet- durch die Abgeschlossenheit des sorbischen Kulturkreises war dies auch völlig normal. Man öffnete sich im protestantischen Raum zwar für die Deutschen Zuzügler- doch wie überall vor 200  Jahren wurde geheiratet, um etwas zu erhalten, und nicht, um besonders weltoffen und modern neue Wege zu gehen. Und für die Vererbung der Höfe war Eines besonders wichtig: rechtmäßig, in der Ehe geborene Kinder! Wie wichtig der Stand und das Ansehen waren und wie stark dieses Denken sogar auf die Sagenwelt Einfluss hat, zeigt die folgende Erzählung:

 

Die Sage vom Jungfernstein zu Leippe

Mit dem heute so unbekannten Jungfernstein bei Leippe verbindet sich die Sage um eine hochadelige Jungfer, die von einem gemeinen Mann schwanger war und vor dem Zorn ihres Vaters bis hierher flüchtete. Hier, auf einem harten Stein, soll sie das Kind geboren haben. Sie schwor, das, wenn es ein Junge wird, sie eine Kapelle an dieser Stelle stiften würde, doch es wurde ein Mädchen.

 

Die Sage in ihrer vollständigen Form finden Sie auf der Seite für Oberlausitzer Geschichte, einer privaten Sammlung sehr interessanter Online-Publikationen, neu und mit viel Engagement aufgearbeitet und somit auch für Jeden gut lesbar, der mit der Entzifferung historischer Dokumente nicht geübt ist. Hier finden Sie die wundervollen Sagen der Oberlausitz (Der Jungfernstein auf dem Leiper Berge bei Hoyerswerda auf Seite 38) als kostenlose pdf-Version zur privaten Nutzung.

 

Mit diesem Jungfernstein gibt es allerdings ein großes Problem: Er wird gern als "Heidnische Opferstätte" dargestellt, und so findet sich in den Weiten des Internets dann ein Artikel, der Ihnen Fachkompetenz durch die Aussage dreier Ortschronisten und Heimatforscher vermittelt.

 

"Wahrscheinlicher ist wohl, dass einstmals junge unschuldige Mädchen auf der Erhebung der Göttin Siwa geopfert wurden, berichtet Heimatautorin Uta Davids aus Cosel bei Schwepnitz. Tatsächlich sollen in viel späterer Zeit an jener Stelle Aschegefäße und Skelettreste gefunden worden sein. Diese Meinung vertritt die Ortschronistin von Leippe-Torno, Gisela Ehrlich. Sie wird bestätigt von ihrem Vorgänger Paul Jahn, der im Jahr 1966 die Gegend um den Jungfernstein beschrieb. Bei Ausgrabungen am südlichen Bergfuß sei man demnach auf verbrannte Knochen und Urnenstücke gestoßen."  Zitat aus der Lausitzer Rundschau (Online-Version) vom 9.3.2013 

 

Dieser kurze Ausschnitt eines Presseartikels vermittelt Ihnen ein Bild einer mächtigen Göttin Siwa, die Blutopfer verlangt- um was?- beruhigt zu werden? Leid abzuwenden? Hollywood in Leippe- blutige Rituale, und bestätigt durch Knochenreste und Urnenstücke! Ganz ehrlich- jetzt gruselt es mich wirklich- denn nichts könnte weiter vorbei gehen an der Realität als diese Deutung historischer Fakten. Ich zweifle keine der Aussagen zu den Funden an- das kann sein. Graben Sie mal einen Friedhof um- was finden Sie?

 

Genau das hat man da getan, aber die Funde falsch gedeutet- am südlichen Bergfuss fand man verbrannte Knochen und URNENSTÜCKE... eine Opferung in Urnen? In vielen heidnischen Kulturen finden Sie eine Konstante- der Norden ist die Himmelsrichtung des Todes, der Süden des Lebens. Die Eingänge zu Ganggräbern wurden im Süden angelegt. Der Tod war also Nord-Süd- gerichtet. Die Brandbestattung war eine gängige Praxis bei den frühen Slawen, aber auch schon in der Bronzezeit. Da die Lausitzer Kultur gern und oft übersehen wird, in Form der Urnenbestattungen aber die meisten Zeugnisse in der Lausitz hinterlassen hat, ist wohl eher eine Begräbnisstätte noch vor der slawischen Besiedlung (nach 1400 v. Chr.- ca. 500 v.Chr.?) hier zu vermuten.

 

Die Erwähnung von Knochen sagt rein gar nichts zur Todesursache aus- diese Mädchen, wenn es denn welche sind (ich konnte keine pathologischen Befunde zum Geschlecht, Alter oder Sonstiges finden, es wird nicht einmal von Menschenknochen gesprochen.) können aus ganz natürlichen Gründen verstorben sein- es könnte sich sogar um einen ganz speziellen Begräbnisplatz für zu jung verstorbene Kinder oder Jugendliche handeln- eben jungfräuliche Menschen oder aber bei der Geburt verstorbene Frauen- wir wissen es nicht, doch generell von Menschenopfern auszugehen halte ich für sehr unwahrscheinlich. Die Sterblichkeitsrate in diesen Zeiten war weit höher im jungen Alter als heute- es gab keine Medizin oder Ähnliches- ein Unfall mit gebrochenem Bein konnte zum Tode führen, jede Wunde barg eine Gefahr der Blutvergiftung. Der immer noch verbreitete Unsinn das jede "Heilige Stätte" gleich in Menschenopfern enden muss sollte endlich einmal neu überdacht werden.

 

Die Lausitzer Kultur entspricht in ihren für uns erkennbaren Denkweisen durchaus derselben Kulturstufe wie die, aus der die ersten Slawen stammten. Wenn die Lausitzer Kultur schon etwas Besonderes in diesem Berg sah, dann sahen die später ankommenden Slawen höchstwahrscheinlich etwas Ähnliches darin- wir haben den Bezug dazu verloren, doch überall in der Welt wurden heilige Stätten über Jahrtausende genutzt, weisen Lücken der Besiedlung auf und wurden später wieder in derselben Form genutzt. Ohne, das jemand ein Hinweisschild hinterlassen hätte, das auf dem Berg ein Heiligtum ist. Diese Sprache der Natur verstand man früher anscheinend noch... 

 

Ich nehme es den Heimatforschern keinesfalls übel- sie überliefern mit ihren Aussagen wichtiges Wissen, nur leider haben sich hier massive Fehler eingeschlichen (Oder die Pressestelle hat eben das getan, was sie immer tut und sich ihren reißerischen Teil zusammen gedichtet?). Es ist eben ein Spezialthema, das sich auch mir erst in ersten Ansätzen erschließt.

 

Eine slawische Fruchtbarkeitsgöttin oder....?

Göttin Siva
Quelle: wikipedia commons (Bild verlinkt)

Um Siva/Siwa zu verstehen muss man sich mit ihren Darstellungen beschäftigen. Und genau da beginnt das Problem. Die Darstellung die Sie sehen ist eine wunderschöne Interpretation aus dem Jahre 1740. Sie trägt in einer Hand eine Weintraube, in der anderen einen Apfel. Schriftliche Zeugnisse, wie die Göttin wohl aussah, gibt es im 15. Jh. zu finden- auch dort ist die Rede von Weintraube und Apfel.

 

Ein Fund unter den "Alterthümern von Rethra" soll allerdings ganz anders aussehen- mit einem Affen auf der Schulter, in einem Kleid das die Knie noch nicht bedeckt und einer ausgestreckten Hand, bei der das fehlt, was die Göttin uns reichen will. Dabei wurden dann auch glatt ein Opfermesser mit ihrem Namen und eine Opferschale mit einem Affen gefunden. Also doch Blutige Opfer? 

 

Nun, ich bin ja immer dafür, archäologischen Funden mehr zu trauen als Worten. Wenn sie denn existieren... Wo finden wir diese Figur, die angeblich die Göttin Siva so anders zeigt- mit einem Affen in einer Zeit weit vor dem Mittelalter, als die ersten Meerkatzen wohl durch Händler oder fahrende Spielleute im Bereich der Slawen bekannt wurden? Wie kann es Funde geben aus Rethra, wenn dieses alte slawische Heiligtum bis heute gar nicht gefunden wurde? Und warum gibt es bereits in der Literatur, die sich im 19. Jh. mit dieser Göttin auseinandersetzt, den Vermerk, das die Echtheit der Funde angezweifelt wurde und nach Untersuchung auf "höchsten Befehl" dann doch bestätigt? Wenn ich meine Adelsstamm-Linie auf diese Göttin zurückführen möchte dann würde ich natürlich auch sehr bemüht sein, die Echtheit zu bestätigen, denn genau das soll Siva für das Mecklenburgische Adelsgeschlecht sein- ihre Stammmutter.  

 

Das Wenige, das wir wissen besagt, dass Siva die slawische Göttin der Fruchtbarkeit und des Lebens ist. Ihr Name soll in etwa: Leben, Dasein, Existenz bedeuten. Und immer wieder tauchen Weintraube und Apfel auf. Viel mehr erfahren wir nicht zu dieser Symbolfigur die eine wichtige Funktion im Lebensalltag der Slawen hatte. Aber was symbolisiert sie wirklich?

 

Die 2 Attribute, die man ihr beigibt verraten mehr als man ahnt. Sie sind eher christlichen Ursprungs- da sie erst im 15.Jh. auftauchen dürfen sie aber auf keinen Fall nur als Erntefrüchte angesehen werden. Hier versteckt sich bereits die moralische Bedeutung der "christlichen" Siva. Und auf die Sorben bezogen ist diese Version wohl gar nicht so falsch, denn auch wenn es immer heißt, die Slawen haben sich so lange gewehrt, hätten ihre heidnischen Bräuche beibehalten- Christlich und Heidnisch müssen sich nicht ausschließen- und nicht immer ist alles ein Schwarz-Weißes Feindbild wie es heutzutage gern dargestellt wird.

 

Das der Jungfernstein selbst im 19. Jahrhundert noch eine Rolle spielte zeigen die vielen Karten, die ihn als selbstverständliche Landmarke aufnehmen. Wäre das "Ritual" um Siva so tot gewesen und es wäre nur um die nette Sage der Jungfer gegangen, wäre dies keine ausreichende Erklärung für die Beachtung, die dieser Stein erfuhr. Hier ging es wohl jahrhundertelang um etwas ganz Anderes- eine Initiation in die Welt der Erwachsenen. Den Übergang eines Mädchens zur Frau- erst ganz real vor Ort, später aufgelöst in anderen Ritualen der Übergänge junger Menschen vom Kind zum Erwachsenen, wie noch heute in der Konfirmation zu finden. Wem dies alles zu religiös erscheint, der denke einmal an den Abschlussball der Schüler. Spätestens seit dem Jahr 2020, in welchem er vielen Schülern genommen wurde, wissen wir wieder, wie wichtig ein Ritual zum Abschluss des Lebensabschnitts "Kind" für die Jugendlichen ist. Die Übergänge von der "Opferstätte am Berg" zum "Altar in der Kirche" und zum "Ballsaal" sind so fließend, das es kaum möglich ist, dafür Jahreszahlen zu finden. Wie lange der Jungfernstein ganz real besucht wurde, wann er zum Symbol wurde- wir werden es wohl nie erfahren.   

 

Die volle Weintraube und der sündhafte Apfel

Der Mensch vor 500 Jahren lebte in Symbolen, wenn er die Schrift nicht lesen konnte. So wurden sehr oft biblische Motive genutzt, um zu erziehen- die Darstellungen von Heiligen machen es vor. Wenn nun Siva in ihrer Nacktheit eine Weintraube hoch erhoben hält (in der Linken, der Herzenshand?), während der Apfel eher unterhalb ihres Herzens erscheint, dann ist dies kein Zufall. Die Weintraube mit all ihren Beeren ist im Christentum das Symbol für eine reiche Kinderschar und Mütterlichkeit.

 

Der Apfel war einst das Symbol der Fruchtbarkeit, wurde aber durch den Sündenfall zum Problem-Objekt. Er steht noch immer für die Fruchtbarkeit und das Leben, aber er hat eben ein paar Blessuren davongetragen. Die Kinderschar und die Mütterlichkeit stehen in der Symbolik also durchaus mit der Fruchtbarkeit im körperlichen Sinne beieinander, die "Traubenmadonna" (=Maria als Mutter Jesu Christi) ist allerdings die erstrebenswerte, während der Apfel in der gesenkten Hand die Sünde nicht mehr darreicht wie Eva zu ihrer Zeit.

 

Die Funktion einer Helferin der Bauern- einer höheren Frau, die den Müttern, den Gebärenden und jungen Frauen und Ammen hilft, nimmt im Mittelalter die heilige Margareta in sich auf. Sie ist eine der 14 Nothelferinnen, die auch gegen Unfruchtbarkeit und die "Unholde aus den tiefen Wassern" helfen soll. Interessanterweise finden wir genau diese Nothelferin in der Schwarzkollmer Dorfkirche aus dem Jahre 1450. Zeigt diese Entwicklung vielleicht den Übergang auf- weg vom heiligen Jungfernstein, hin zur Kirche, in der nun Hilfe angeboten wird? Ich glaube nicht so ganz an einen Zufall, denn diese Entwicklung macht durchaus Sinn, um das Thema der Jungfrau zu Frau/ Initiation in neue Bahnen zu leiten und zugleich vor Ort eine Helferin "in der Not" anzubieten. Auf friedliche Art, ohne zu verbieten- es wäre nicht der einzige Brauch, der ausstirbt, bevor er schriftlich festgehalten wurde.

 

Ob es einen besonderen Tag für einen "Ausflug" zum Jungfernstein gab werden wir nie erfahren, wie dies abgehalten wurde- im kleinen Rahmen der Familie oder in öffentlicherer Form? Wer weiß.  Wer von heidnischen Opferstätten spricht muss sich letztendlich auch über das "Wie" Gedanken machen und den Mut haben, dem ganzen einen Bezug zu geben. Ich für mich vermute genau das in dem Jungfernstein der frühen Zeiten: ein Zielpunkt in der Entwicklung junger Mädchen, der an einem bestimmten Tag im Leben- vielleicht das offensichtliche "Frau werden" durch die erste Periode?- aufgesucht wurde und somit eine Art "Opfergang" war. Man lässt etwas Altes hinter sich, das Mädchen "stirbt", und die Frau, die potentielle Mutter, kommt zurück. Das dies sogar anhand archäologischer Funde ersichtlich ist , mag dann gar keine so große Überraschung sein...

 

Die bronzenen Reife aus dem Moor

Im Jahre 1880 wurde in der Nähe des Petzerberges in Richtung Leippe ein Hortfund gemacht. Beim Torfstechen hatte ein Schwarzkollmer Bronzeschmuck gefunden. Die archäologische Auswertung ergab, das es sich um ein sogenanntes "Trachtdepot" handelt. In den 1980ern fand ein Bauer auf einem Feld bei Leippe einen Gegenstand, der zuerst wie eine Sprungfeder aussah, sich dann aber als Spiral-Armreif der Bronzezeit entpuppte. Bei Hohenbocka wurden ebenfalls 3 Armreife gefunden. Dies sind nur die uns überlieferten Funde der letzten 150 Jahre- was in all den Jahrhunderten davor schon gefunden wurde, wissen wir nicht.

 

So ist es fast überall in der Lausitz, die in der Bronzezeit durchaus Einwohner zählte, wenn auch sehr verstreut und nur durch diese archäologischen Funde direkt nachweisbar. Die Arm-und Beinreifen wurden fast immer in moorigen, bewaldeten Gebieten geopfert, in denen sie danach nicht mehr zugänglich sind und somit auch kein wirkliches Depot für schlechte Zeiten sein können. Wem das Wort Opfer heute nicht gefällt- es ist genau das: man gibt etwas von sich her, das einem besonders wertvoll erscheint- mit dem Unterschied, das man damals gern gab und es eben nicht als "Opfer" im negativen Sinne ansah. Die negative Interpretation des Wortes stammt wohl aus den Zeiten der vielen Kriege der Menschheit, in denen "Opferzahlen" die Ausmaße der Verwüstung zeigen. In denen "Opfer" gleichbedeutend mit "unfreiwilligem Tod" gestellt wird. 

 

Bei all den Funden scheint es gewisse Regeln gegeben zu haben, die seltsamerweise abweichen von Regeln, die im südlichen Deutschland/ Europa zu finden sind. Dort opferten Frauen ihre Armreife auf den Höhen und Landmarken im trockenen Milieu- in der Lausitz und den slawischen Gebieten finden sich Beildepots (der Männer/Krieger) im trockenen Raum während die Moore wohl den Frauen wichtig waren.

 

Das Trachtdepot bei Schwarzkollm mit seinen 11 bronzenen, in sich gedrehten Ringen und der Fibel ist von allen bisherigen Funden allerdings eines der Größten und im Vergleich zu Funden bei Spohla sind alle Ringe völlig intakt und wurden nicht mutwillig zerbrochen. Was es damit auf sich hat- ob es ein Opfer einer einzelnen Frau ist, die mindestens 11 Armreife trug ist nicht geklärt. Das Opfern der Armreifen galt allerdings als eine Art "Übergangsritual". So, wie wir heute bei einer Vermählung den Ring anstecken, wurden die Ringe der Mädchen/ Frauen damals an einem bestimmten Punkt des Lebens abgelegt. Ob dies geschah, um öffentlich einen Wandel der Person zu demonstrieren oder als Bitte um Hilfe an eine gedachte Gottheit, die das Weibliche unterstützt, ist auch unbekannt. Es sind Theorien, doch ich würde es nie wagen, diese als Fakten von "Opferritualen" allgemeingültig hinzustellen.

 

Weitere Informationen zu dem Thema der bronzezeitlichen Funde der Region sowie Fotos von den oben erwähnten Fundstücken bietet dieser Fachartikel von Louis Nebelsick: "In höchsten Höhen und tiefsten Tiefen. Der Deponierungskontext jungbronzezeitlicher Ringdepots Mitteleuropas".

 

Die Sage vom Hankabrunnen

Ganz in der Nähe des Dorfplatzes zu Schwarzkollm gibt es einen unscheinbaren Brunnen- den Hankabrunnen.

Den Hintergrund der Sage zu diesem nach einem Mädchen benannten Brunnen können sie jetzt wohl erahnen...

 

"Hanka, ein Mädchen aus Schwarzkollm, bleichte am Quellbach ihre Leinwand. Im Ort wurde getuschelt, sie sei von Unzucht schwanger. Von den Oberen des Dorfes befragt habe sie dies bestritten und unter dem Druck bekräftigt "... wenn sie schwanger sei, so sollte ihr Gott den Brunnen vertrocknen lassen, welches auch alsbald geschehen sollte." Seit dieser Zeit trocknet der Quell von Johannis (24. Juni) bis Michaelis (29. September) aus und heisst seitdem Hankabrunnen."

 

Quelle: Krabatmühle Schwarzkollm

 

So schließt sich der Kreis der "unkeuschen Jungfer" von Schwarzkollm wieder. Den Annabrun, der zum Hankabrunnen wurde, gab es nachweislich bereits lange Zeit vor David Traugott Kopf- es wird wohl nicht sein erwähntes gefallenes Weibsbild gewesen sein, das für diese Sage Pate stand. 

 

Der letzte Ausweg

Bis zu diesem Punkt erscheint es immer so, das die Mädchen allein darüber entscheiden, was ihnen passiert. Das sie diejenigen sind, die im Ernstfall gegen die dörfliche Gemeinschaft verstoßen. Ihnen wird die Sünde zuerkannt.

 

Im Gespräch mit meiner Schwester ergab sich plötzlich ein Aspekt, der hier erwähnt sein soll- um auch eine andere Seite zu zeigen, aber auch, wie lange diese "Ausstrahlung des Jungfernsteins" und die Thematik der Reinheit nachwirkt und in welche Richtungen es gehen kann, wenn eine Gesellschaft nicht mehr funktioniert. Wenn die Schuld so groß wird, das der einzelne Mensch daran zerbricht. Sie fragte mich, ob ich mich noch erinnern könne, was unsere Oma erzählte wenn wir zu unserer Wiese am Tornoer Teich (in geringer Entfernung zum Jungfernstein) fuhren. Meine Oma sagte, das in diesen Teich früher die Mädchen gingen, wenn sie verzweifelt waren...

 

Meine Oma aus Torno war ein Kriegskind des 2. Weltkrieges, das wohl Einiges mitbekam, was Erwachsene sich erzählten. Es waren schreckliche Zeiten und nicht immer ist ein Mädchen selbst daran schuld, wenn es der Gesellschaft und den moralischen Ansprüchen nicht genügen kann. Der Mensch in seinen abzugrenzenden Lebensabschnitten vom Kind zum Jugendlichen und zum Erwachsenen wurde früher mehr reglementiert, aber gerade den Übergängen wurde viel mehr Achtung geschenkt. Wenn von Kindern heute verlangt wird, erwachsen zu handeln und ihnen nicht die Zeit zum Wachsen gegeben wird, sind sie nicht freier. Dann sind sie immer nur auf der Suche nach dem Punkt, an dem ihnen die eigene Verantwortung zugetraut wurde- an dem sie aufhörten, Kind zu sein.