Es ist ein Ros entsprungen /
auß einer wurtzel zart /
Als vns die alten sungen /
auß Jesse kam die art /
vnnd hat ein blümlein / bracht /
mitten in kaltem winter
wol zu der halben nacht.
(kirchliches Weihnachtslied, katholische Fassung aus dem Speyerer Gesangbuch von 1599)
Sie kennen das Lied mit Sicherheit. Es wird zu Weihnachten in der Kirche gesungen und soll an Maria, die Mutter Gottes erinnern. Die reine Rose, aus der Jesus entsprungen ist. So zumindest die heutige Deutung des Liedes im religiösen Sinne. Als ich noch ein kleines Kind war fragte ich mich immer, wann das Lied mit dem Pferd kommt- dem Ros(s). Ich habe das Lied nie verstanden- eine Rose im Winter? Und was hat das mit Jesus zu tun? Dubios.
Ich hatte das Lied auch nicht im Kopf, während ich seit Tagen eine fotogene Helleborus auf den Friedhöfen suchte. Sie hat sich nie präsentiert- mal hing sie traurig inmitten anderer Gestecke, mal versteckte sie sich im Schatten. Die Rebellin wollte einfach nicht aufs Foto- sie war noch nicht bereit dafür. Heute nun war die Dame so weit und hatte für wenige Minuten sogar die Sonne bestellt. Und nun weiß ich auch, warum sie so schwer zu erwischen war- sie ist verrückt! Sie tut, was sie will. Sie blüht, wenn die allgemeine Regel sagt, das alles zu ruhen hat- dann erst kommt sie aus dem Schnee hervor und sagt: Ich hab jetzt Lust, mich zu zeigen. Ziemlich mutig von ihr, so einfach in all der Kälte heraus zu kommen...
Der Mönch und das Blümelein so zart
Es gibt eine wunderschöne Sage zur Helleborus und wie das Lied entstand. Ich fand sie in dieser Silvesterpredigt, hinterlegt in der Uni Münster.
"Der Benediktinermönch Laurentius ging an einem Weihnachtsmorgen in den Klostergarten. Draußen war es
bitterkalt. Da fiel sein Blick auf eine Pflanze, die ein Missionar ihm aus dem hohen Norden mitgebracht hatte. Er hatte sie damals in den Garten eingepflanzt. Die Pflanze blühte aus dem Schnee heraus. Mitten im Winter! Laurentius blieb davor staunend stehen. Von dieser Blüte war er tief berührt. Während er sie betrachtete, flogen ihm die Verszeilen und die Melodie zu..."
Ein Mönch schreibt ein Lied zu einer Blume, die etwas Ungewöhnliches tut- und es klingt gar nicht nach der Ehrung der Maria und dem Jesuskind- vielmehr naturphilosophisch. Er sieht etwas, das er als ein kleines "göttliches Wunder" empfindet. Die Kirchentradition deutet den Text später um, gleicht ihn an. Der Glaube an eine rebellische Blume, deren Name "Helleborus" irgendwie so "höllisch" klingt und nichts anderes meint als "verrückt" passt nicht zur Lehre, wie es scheint. Schade eigentlich. Über die Jahrhunderte wird das Lied so zu einem "Kirchenklassiker" und geht irgendwie im Zusammenhang mit der schwarzen NIESWURZ völlig verloren.
Kind des Mondes - Wetterprophetin - Jugend Erhaltende
Laut kirchlicher Überlieferung entstand die Christrose, wie sie heute auch gern genannt und somit als Symbol für den zu Weihnachten geborenen Christ gesehen wird, wie folgt:
"In der Heiligen Nacht sprachen die Hirten zueinander: „Kommt, lasset uns nach Bethlehem gehen und sehen, was da geschehen ist.“ - Und sie machten sich eilends auf. Jeder nahm ein Geschenk mit: Butter und Honig, einen Krug Milch, Wolle vom Schaf und ein warmes Lammfell. Nur ein Hirtenknabe hatte gar nichts zum Schenken. Er suchte auf der Winterflur nach einem Blümchen. Er fand keins. Da weinte er und die Tränen fielen auf die harte Erde. Sogleich sprossen aus den Tränen Blumen hervor, die trugen Blüten wie Rosen. Fünf Blütenblätter, zart und weiß,
standen zum Kelch zusammen, daraus ein Kranz von goldenen Staubgefäßen gleich einer Krone hervorleuchtete. Voll Freude pflückte der Knabe die Blumen und brachte sie dem göttlichen Kind in der Krippe. Das Jesuskind aber legte segnend das Händchen auf das Wunder. Seit der Zeit blüht die Blume jedes Jahr in der Weihnachtsnacht auf und die Menschen nennen sie Christrose."
Quelle: Bibelgarten Twist (hier finden Sie auch eine sehr interessante Legende zur Bekehrung eines Germanenfürsten durch die Blume)
Auch sehr schön. Nur gab es die Helleborus lange vorher. Schon bei den Griechen galt sie als Heilende gegen Geisteskrankheiten; schnell war bekannt, wie giftig vor allem ihre Wurzeln und ihre Samen sind (Drei Tropfen machen rot, zehn Tropfen machen tot.)
Passend zu den Rauhnächten möchte ich Ihnen verraten, wie die "Heiden" einst mithilfe der Helleborus das Wetter für das kommende Jahr voraus sagten:
Man nehme 12 Blütenknospen der Helleborus- für jeden Monat des Jahres Eine- und stelle sie ins Wasser. Diejenigen Knospen, die aufgehen und blühen, bedeuten gutes Wetter und Glück; Knospen, die sich verweigern bedeuten schlechtes Wetter!
Die Nieswurz, wie sie auch heißt, wurde als Mittel zum Niesen (zu Pulver zerriebener Wurzelstock als Schnupf"tabak"- nicht ausprobieren!) genutzt, und natürlich hatten auch die "Hexen" sie für sich entdeckt. In Schönheitssalben zur Erhaltung der ewigen Jugend fand sie gern Verwendung. Ihre wirkliche Wirkung durch das enthaltene Helleborin ähnelt eher der von Fingerhut. Sie ist ein Hahnenfußgewächs und keine Rose im eigentlichen Sinne.
Aber was hat es nun mit dem "Kind des Mondes" auf sich?
Eine Blume für Poeten
Rosen haben schon immer die Fantasie der Romantiker und Dichter beflügelt. Welche Gefühle muss dann erst eine "Rose" auslösen, die einsam in der kältesten Jahreszeit aller Vernunft trotzt und völlig aus der Norm "Ent-rückt" ist?
Nun- sie inspirierte Dichter wie Eduard Mörike oder Johannes Trojan zu wunderschönen Werken. Und immer schwingt da auch etwas Vergehen und Todessymbolik mit- der Winter ist die Zeit des Übergangs- des Ruhens. Und die Helleborus? Sie ist die Blume des Zwielichts, des Dunkels. Eduard Mörike schildert sie 1841 in der Art, wie auch ich sie irgendwie empfinde- sie versteckt sich gern und bleibt immer ein wenig geheimnisvoll- eine Blume an der Schwelle zwischen Licht und Dunkel- zwischen Leben und Tod.
Auf eine Christrose- Eduard Mörike
Tochter des Walds, du Lilienverwandte,
So lang von mir gesuchte, unbekannte,
Im fremden Kirchhof, öd und winterlich,
Zum erstenmal, o schöne, find ich dich!
Von welcher Hand gepflegt du hier erblühtest,
Ich weiß es nicht, noch wessen Grab du hütest;
Ist es ein Jüngling, so geschah ihm Heil,
Ists eine Jungfrau, lieblich fiel ihr Teil.
Im nächtgen Hain, von Schneelicht überbreitet,
Wo fromm das Reh an dir vorüberweidet,
Bei der Kapelle, am kristallnen Teich,
Dort sucht ich deiner Heimat Zauberreich.
Schön bist du, Kind des Mondes, nicht der Sonne;
Dir wäre tödlich andrer Blumen Wonne,
Dich nährt, den keuschen Leib voll Reif und Duft,
Himmlischer Kälte balsamsüsse Luft.
...
Das ganze Gedicht sowie weitere Werke anderen Poeten finden Sie hier.
Die Schneerose als Kraftpflanze der Schamanen
Früher half sie gegen Geisteskrankheit- heute gegen Burn-Out! In homöopathischer Dosis kann die Helleborus durchaus auch heute noch medizinisch genutzt werden und wird vielleicht in Zukunft wieder mehr Bedeutung erlangen. Doch schon jetzt können Sie die "Verrückte" positiv nutzen, wenn Sie Ihnen begegnet und Sie Ihre Anwesenheit bewusst wahrnehmen. Sie will ihnen etwas sagen: Trauen Sie sich etwas zu, von dem ihr Umfeld glaubt, es ist unmöglich! Blühen Sie im Winter, legen Sie die von außen gemachten Beschränkungen ab; erkennen Sie aber auch, wenn jemand die Wahrheit (die Kälte und Dunkelheit) beschönigt und leben Sie in der Realität, die Sie durch dieses "Bewusste Sein" erhellen. Die Helleborus ist sich ihrer Stärke bewusst und hat gelernt, sich abzugrenzen- das Negative der kalten Winternacht nutzt sie, um zu erstrahlen!