Von Blumenbüchern, Kannibalen und dem Artensterben- Dresden als Heimat der Schmetterlingsfreunde


 

Die Tage werden wieder düsterer, kälter und irgendwie ist es doch derzeit zu Hause am schönsten, oder? Wir sollen alle brav zu Hause bleiben- aber was macht man mit all der Freizeit? Ich ließ mich mal wieder von den Friedhöfen und ihren manchmal recht lebendigen Bewohnern inspirieren und möchte Sie einladen, vom heimischen Sessel aus auf Forschungsreise zu gehen. Ganz, ohne das Haus zu verlassen. Wie das geht? Nun, ich habe mal bei den Schmetterlingen nachgefragt, warum sie mir in diesem Jahr besonders oft begegneten und was sie eigentlich mit Dresden verbindet...  

 

Das Ergebnis sind 3 "Zeitalter", zu denen ich frei zugängliches Material entdeckt habe, mit dem man sich gut und gerne mal ganze Winterabende beschäftigen kann- am PC oder jeglichem anderen modernen Medium das Sie bevorzugen. Und vielleicht ist das ein oder andere sogar etwas für die ganze Familie...

 

1. Zeitalter: Die Tochter eines Kupferstechers und ihre Teufelsbrut

Bild verlinkt zu Wikimedia Opensource- Quelle
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1647 wird die Tochter des Kupferstechers und Verlegers Matthäus Merian des Älteren in Frankfurt am Main geboren. Das dieses Töchterlein namens Maria Sybilla sich zu einer der bekanntesten Künstlerinnen und Naturforscherinnen entpuppen soll, hat da wohl noch keiner geahnt. Anfangs wird sie die schönen Blumen zeichnen und colorieren sowie das kupferstechen lernen, doch schon bald schleicht sich die "Teufelsbrut" mit ein- die Insekten.

 

Fasziniert von den Verpuppungsstadien der Schmetterlinge wird Maria Sybilla Merian zu einer Frau, die ihrer Zeit weit voraus war. Sie wird die Vorreiterin für ein Fachgebiet, das den Namen Entomologie trägt- die Insektenkunde. Sie wird als Frau bis nach Surinam reisen und vor Ort forschen- angesichts der damaligen Gefahren eine beeindruckende Leistung.

 

In Dresden-Gorbitz gibt es einen Merianplatz, der nach ihr benannt ist, aber was hat Maria Sybilla Merian mit Dresden zu tun? Sie lebte nie hier.

Der Umstand, das Dresden eine der größten Universitätsbibliotheken hat bringt die Lösung. 1675-80 wird sie ihr erstes Blumenbuch veröffentlichen- ein dreiteiliges, handkoloriertes Werk, von dem nachweislich nur 3 von ihr selbst gemalte erhalten sind. Eines davon liegt wohlgehütet in den Archiven unserer SLUB. Und dank digitaler Technik dürfen Sie hier, von zu Hause aus und ohne die Blätter zu berühren, Maria Sybillas Erstwerk entdecken:

  

Link zur Online- Version des "M. S. Gräffin, M. Merians des Eltern seel: Tochter. Neües BlumenBuch"

 

Und für alle Freunde des bewegten Bildes werden hier Original und Reprint ihres wichtigsten Werkes auf wundervolle Weise näher gebracht: offizielles Youtube-Video vom Lanoo-Verlag  

 

Die Originale zum zu Hause entdecken (leider nicht kolorierte Versionen) finden Sie hier als Public Source des Göttinger Digitalisierungszentrums:

Der Raupen wunderbare Verwandlung und sonderbare Blumennahrung 

 

2. Zeitalter: Aus dem Villenviertel in die Welt geschaut

 

Was sind eigentlich Lepidopterologen?

Das fragte ich mich irgendwann bei der Lektüre im Bezug auf ganz anderen Themenfelder- es ging um das wunderschöne Villenviertel Blasewitz und eigentlich suchte ich mal wieder einen "Verschiedenen" namens Lessel. Wie so oft trifft man plötzlich auf ganz unerwartete Internetfunde, in dem Fall war es eine Ausgabe der deutschen Entomologischen Zeitschrift, herausgegeben vom Dresdner Verein "Iris".  Von dem hatte ich doch schon einmal gehört? Als Gästeführerin hatte ich einstmals eine Tour speziell durch Blasewitz geplant und war dabei auf einen speziellen Händler für Naturalien gestoßen- er hatte seinen ersten Handel auf der Loschwitzer Strasse -wie hieß er doch gleich?

 

Otto Staudinger und die Dresdner Schmetterlingsfreunde -so könnte man dieses Kapitel auch benennen. Oder man könnte daraus ein ganzes Buch machen, denn das Thema ist weitgefasst... Kurzum, Staudinger und sein Schwiegersohn Andreas Bang-Haas waren solche "Lepidopterologen", was nichts Schlimmes ist- wenn man kein Schmetterling ist... denn diese bärtigen Herren waren diejenigen, die diesen wundervollen Faltern mit Käschern hinterherjagten (oder jagen ließen) und sie dann mit kleinen Nadeln aufspießten. Soweit die allgemeine Vorstellung davon. Damit die Herren das auch richtig taten und die Sammlungen gut gelingen gab es (natürlich aus Dresden) gleich die passende Anleitung zum fachgerechten Töten, die Sie hier frei verfügbar finden- und bitte nicht nachmachen wenn Sie nicht selbst ausgebildeter Sammler mit Ethos sind:

H. Kotzsch, Dresden- Blasewitz: Das Präparieren der Schmetterlinge

 

Otto Staudinger war der führende Händler für solche Präparate und hatte somit auch großen Einfluss auf die Abteilung des Vereins "Iris", der sich speziell mit diesem Punkt der Naturkunde auseinandersetzte.

Es würde zu weit führen, die einzelnen Herren, die in diesem Verein tätig waren, zu benennen, doch schon einer der Ehren-Mitglieder im Verzeichnis liefert ein Beispiel dafür, mit welchen Welten-Erforschern wir es hier in Dresden zu tun hatten: Carl Ribbe.

 

Er war seit 1884 Mitglied und wohnhaft in Radebeul. Als bekannter Forscher und Südsee-Reisender ging er vielleicht in die Geschichte außerhalb Dresdens ein, doch für mich war er bisher unbekannt. Desto faszinierender ist der freie Zugang zu einem seiner wichtigsten Bücher: "Zwei Jahre unter den Kannibalen der Salomoinseln" -Lektüre, die sicherlich an manchen Stellen wie der Bericht eines Robinson Crusoe wirkt- fantastisch, exotisch, und auch eines: nicht immer mit unserem heutigen Bild der Welt vereinbar. Man darf nie vergessen, das dieses Buch im Jahre 1903 geschrieben wurde. Rassismus, Mengele und alles, was wir heute als völlig abstrus bewerten, wurden damals nicht so verstanden. Desto wertvoller ist allerdings für den Historiker der freie Zugang zu dieser Literatur, denn nur so- mit dem Blick der Menschen von vor 100 Jahren, kann man die Geschichte verstehen- und Ribbe beschreibt die Rituale der Stämme ohne den Weichzeichner der heutigen Zeit, sein Sie also gewarnt... untreue Frauen werden heutzutage hoffentlich nicht mehr Rituale erleben müssen, die durchaus dem aufspießen von Insekten ähneln!

 

Otto Staudinger liegt übrigens auf dem Johannisfriedhof begraben, und erst vor wenigen Jahren wurde sein Grab restauriert, von dem leider nur die Umzäunung übrig war. Die Schmetterlinge darauf sind allerdings unmissverständlich und bezeichnen das Grab für all jene, die mit offenen Augen unterwegs sind.

 

3. Zeitalter: Tot wie ein Dodo. Arten. Sterben. Gestern. Heute.

 

All das Sammeln und Katalogisieren hat auch seinen Nachteil: je moderner es wird, je mehr Menschen Teil haben wollen an der Exotik, desto mehr Tiere müssen sterben. Dabei waren die gewissenhaften Forscher, denen es wirklich um die Entdeckung neuer Arten ging, wohl nicht das Problem. Es waren die vielen illegalen Händler, Sammler und Jäger, die eben auch noch das letzte Exemplar vom Riesenalk haben mussten- je rarer, desto wertvoller. So ist es eben nicht die Suche nach dem Wissen, die unsere Welt zerstört, sondern die Gier der Menschen. 

Derzeit findet im Japanischen Palais in Dresden eine Sonderausstellung zu diesem Thema statt. Die Naturhistorischen Sammlungen haben hier ihre Ausstellungsflächen, sehr viele Exponate der riesigen Sammlung der Senckenberg- Sammlungen sind nie öffentlich zu sehen und so ist es immer wieder interessant, welche Thematik dieses besondere Museum uns näherbringt. 

 

Angesichts der momentanen Einschränkungen (Fühlen Sie sich selbst schon wie eine bedrohte Art? Man könnte auf die Idee kommen, das dies gerade unser aller größte Sorge sein müsste, leben wir doch im "Risikogebiet" Dresden.) hat das Museum etwas ganz aktuelles für Sie vorbereitet- machen Sie doch einfach Ihren Museumsbesuch von zu Hause aus! Dank Internet und Multimedia kein Problem! Und an dieser Stelle kommen dann vielleicht auch die Kinder dazu- viel Spaß beim rumspielen mit dem virtuellen Rundgang durch die Ausstellung.

 

Auf dieser Seite geht es zum virtuellen Rundgang

  

Und so bleibt wohl nur darüber nachzudenken, wer die bedrohte Spezies ist in diesen Zeiten. Es waren nicht die bärtigen Herren mit dem Käscher, die unsere Bienen so dezimiert haben, das Artensterben der Neuzeit hat ganz andere Ursachen. So brauchen Sie auch kein schlechtes Gewissen haben, wenn Sie sich naturhistorische Sammlungen ansehen- nur so erfahren unsere nächsten Generationen, das nichts selbstverständlich und ewig ist. Geschichte ist wie ein Schmetterling- sie wächst heran und durchläuft viele Stadien. Und irgendwann ist der Höhenflug vorbei.

 

 


Tipp für die nächste Weimar-Reise:

Bildquelle: Mineralien-und Fossilienhandel Peter Gensel
Bildquelle: Mineralien-und Fossilienhandel Peter Gensel

Allen, die gern einmal so einen Handel für Naturalien sehen möchten und dies auf ethisch korrekte Art und ohne irgendwelche dubiosen Herkunftserklärungen empfehle ich diesen faszinierenden Laden in Weimar. Zugegebenermaßen nicht gleich in der Nähe von Dresden, aber es lohnt sich und Weimar an sich ist immer eine Reise wert!

 

Mineralien-und Fossilienhandel Peter Gensel