Es ist wieder Herbstzeit- und bei meinen letzten Friedhofsbesuchen stolperte ich förmlich über so einige duftende Exemplare, es scheint ein guter Jahrgang (für "Giftpilze"?) zu sein und somit Zeit, die Symbolik der Fungi mal genauer unter die Lupe zu nehmen!
Und natürlich verrate ich Ihnen nicht einfach tolle Pilzrezepte- dann würde dieser Artikel wohl in der Abteilung der Sächsischen Küche zu finden sein...hier soll es um einen ganz anderen Zusammenhang gehen.
Die "Fliegenden" Schamanen und ihre selbsternannten Erben
Betrachtet man die Welt der Fungi mal spirituell, gibt es da so einige Klichees: Südamerikanische Schamanen, die uns das Wissen über die ganz speziellen "Mushrooms" überliefert haben und den Probanten in andere Welten schicken, Goa-Parties -und sowieso- Schamanen und andere esoterisch Aktive berauschen sich mit psychoaktiven Substanzen und dann bilden sie sich ein, zu fliegen.
Und nicht nur die, auch Hexen flogen schon dank der ein oder anderen Mischung über den Blocksberg... um es gleich vorweg zu nehmen- Schamanen fliegen nicht wirklich- sie reiten. Und genau an dieser Stelle verlassen wir einmal die Vorurteils-Liste und werden historisch und auch ethnologisch etwas korrekter.
Es wird den Einen oder Anderen vielleicht überraschen, aber ein recht großer Teil der ursprünglichen Schamanen (und -innen, die in diesen Begriff eingeschlossen sind und eine Gendertrennung im Spirituellen mir persönlich absurd erscheint), vor allem im Sibirischen/Asiatischen Raum legte großen Wert darauf, bei klarem Kopf zu sein, wenn sie ihre Reise antraten- auch wenn die einschlägige Literatur immer gern Anderes behauptet. Letztendlich zeigt sich hier ein grundlegendes Problem, indigene Traditionen auch heute noch in unser (westliches) Denkbild hinein zu interpretieren oder an unsere ureigensten Wünsche anzupassen. Drogenkonsum als "Urform der Spiritualität" zu verkaufen ist wie ein Freischein für den Missbrauch, der vor allem in einschlägigen Kreisen gern als die große Freiheit des Individuums über gesellschaftliche Normen angepriesen wird. Was dabei sehr oft vergessen wird- Schamanen sind auch Trickser und leben teils davon, die große Show zu liefern- und sie wissen genau, was die westlichen Besucher erwarten. Da kommt die Frage auf, wer eher da war, der "Hippie" oder der drogenkonsumierende Schamane- oder besser: wer hat von wem gelernt? Eine wirklich korrekte Erfassung aller schamanischen Eigenheiten vor der systematischen Verdrängung und Ausrottung innerhalb des letzten Jahrhunderts erfolgte nie und nun sind die Ursprünge größtenteils vergessen. Heutige sibirische Schamanen haben oftmals die Überlieferungen "wiederentdeckt", die westliche Forscher einst notierten. Was der westliche Forscher also sehen wollte und für sich interpretierte, das ist nun die "Geschichte des Schamanismus"- übernommen von den Erben derer, die einst eine Show lieferten, um damit den Hunger der westlichen Welt nach etwas Esoterischer Mystik zu sättigen.
Das, was wir sehen, und das, was die Schamanen wirklich für ihre Gemeinschaft taten, sind verschiedene Welten, und von der Vorführung auf die Hintergründe zu schließen, ist wie zu behaupten, das alle Deutschen gern sehr viel Bier trinken. Das Oktoberfest ist also nichts anderes als das Äquivalent zur Show des Schamanen für den ahnungslosen Beobachter- ein Umstand, der leider von sehr vielen Forschern völlig außer Acht gelassen wird. Die wirkliche Arbeit des Schamanen ist und war die, die man nicht sieht- nur mit sehr viel Kenntnis der Symbole, der anderen Welt und dem Verständnis der Zusammenhänge kann ein Schamane wirklich helfen. Das erfordert sehr viel Disziplin und einen klaren Kopf, sonst sind es nur wirre Trips ohne Lösung des Problems. Und ja, diese Lehrjahre sind nicht so spektakulär wie die tolle Vorstellung im Kostüm und die meiste Zeit ist der Schamane der Zuhörer und nicht der Agierende. Ich gehe sogar so weit zu behaupten, das genau dieses "In die Seele des Besuchers hineinhören" der Todesstoß für den ursprünglichen Schamanismus war. Ein Schamane zeigt nicht sein volles Repertoire- er gibt das preis, was der Suchende zu diesem Zeitpunkt geistig verarbeiten kann- er gibt die Antworten, die die suchende Seele verlangt. Und seit der Entdeckung neuer Weltteile waren Europäer einem regelrechten Rausch der fremden Exotik verfallen, ab den 1860er Jahren kommt noch die verstärkte Suche nach den spirituellen Lehrern des Ostens hinzu. Wie leicht ist es da, von einer einzelnen Schamanin wie Maria Sabina, der heiligen Mutter der Pilze, auf alle Schamanen dieser Welt zu schlussfolgern, nur weil sie eben von einem "Wir" spricht. Die Individualität jedes einzelnen Schamanen und sein Blick auf die andere (seine!) Welt zeigt sich besonders auf einem Gegenstand- der Trommel.
Statt dem Pilzrausch zu verfallen "reiten" sehr viele Schamanen auf dem Klang ihrer Trommel- im 3-7Hz -Takt. Ein kleines Exemplar habe ich in diesem Jahr im Waldenburger Naturalienkabinett entdeckt- die "Weltkarte" auf dieser Trommel gehört zu dem Schamanen, für den sie einst geschaffen wurde. Somit ist jede Trommel einzigartig und auch eine Art "Heiligtum", um es in westliche Worte zu fassen. Diese Trommel war einst ein Teil der Seele eines Schamanen, alle rituellen Werkzeuge des Schamanen dürfen auch nur von ihm selbst berührt werden!
Sollten Sie Anderes erleben dann sind sie einer touristischen Vorführung auf den Leim gegangen. So leid es mir tut, Ihnen da die Träume von der spirituellen Erkenntnis im Wochenendkurs zu vermiesen- ein Schamane zu werden ist harte, jahrzehntelange Arbeit an sich selbst. Was in westlichen Kursen als "Schamanisch" verkauft wird ist die Interpretation einer Welt, die auf einem völlig anderen historischen Hintergrund und Verständnis der Natur der Seele basiert, kein echter Schamane wählt diesen steinigen Weg, um sich selbst einen Lebenswunsch zu erfüllen, die spirituelle Leere in sich zu füllen oder um danach Kurse anzubieten oder Bücher zu schreiben, um von seiner "Ausbildung" letztendlich profitieren zu können. Das ist allerdings ein ganz anderes Thema und vielleicht findet sich dazu auch einmal der passende Zeitpunkt.
Einen Filmtipp gebe ich Ihnen an der Stelle aber gern mit auf Ihre Reise. Passend zum Umbruch des Jahres 2020 kam der französische Film: "Eine höhere Welt" in die Kinos, der auf einer wahren Geschichte einer absolut nicht spirituell vorgeprägten Dame beruht und wundervoll zeigt wie unsere heutige westliche Welt gewaltige Probleme mit der Akzeptanz des Nicht-Erklärbaren hat. Gerade zum Thema "Show-Schamanismus" und unsere westliche Leichtgläubigkeit gibt es da eine interessante Stelle...
Der (überhebliche) Traum von der unendlichen Freiheit
Doch warum wollen wir eigentlich fliegen? Warum ist dieses "über allem schweben" so ein langgehegter Traum der Menschheit? Und warum heißt es Fliegenpilz?
Zuerst das Einfache: der Fliegenpilz heißt nicht so, weil ihn Fliegen mögen, oder weil man damit, laut einem Gerücht, in Form von Fliegenpilzmilch, oben Erwähnte vergiften kann. Der Fliegenpilz ist nicht einmal "giftig" im Sinne von tödlich für Menschen. Da gibt es ganz andere Exemplare, vor denen Sie sich hüten sollten.
Fliegen war allerdings im früheren Sprachgebrauch auch ein Sinnbild für "verrückt sein". Eine fliegende Seele ist Eine, die den Halt in dieser Welt verloren hat.
Wir alle kennen die Geschichte von Ikarus, der zu hoch hinaus wollte und kläglich scheiterte. Wer zu hoch fliegt, der verbrennt sich die Flügel, dessen Träume schmelzen wie Wachs in der Hitze der Sonne. Vor ein paar Wochen habe ich diese Ikarus- Darstellung auf einem Dresdner Friedhof entdeckt- was hat es wohl damit auf sich? Träumte der Verstorbene auch den Traum der unendlichen Freiheit?
Es ist eigentlich kein Wunder, das wir Menschen davon träumen, das uns Flügel wachsen und wir allem entfliehen können. Die Engel machen es uns vor, die Vögel am Himmel wirken unendlich frei. Und bei dem Ein oder Anderen schleicht sich mit Sicherheit auch ein ganz anderer, grundlegend schöner Gedanke mit ein: von dort oben hat man die Übersicht. Man sieht alles- kann die ganze Welt erfassen. Es scheint so, als könnte man die letzten Geheimnisse erkunden, gen Himmel fliegen und erfahren, was da oben ist. Im Zusammenhang mit dem Tod und dem Danach ist die Symbolik durchaus spannend. Es ist der Traum, das zu sehen, was da ist, aber eben aus unserer jetzigen Perspektive völlig unsichtbar. Von oben- aus dieser anderen, unbekannten Perspektive müsste es doch möglich sein, das Ganze zu erfassen...
Und so schließt sich der Kreis zu den Schamanen. Vielleicht kann man ihre Reisen wirklich als "Flug der Seele" beschreiben. Sie verewigen ihre Landkarten- das, was sie von oben, aus der anderen Perspektive gesehen haben, auf ihren Trommeln. Und damit lassen sie uns träumen- von der Traumwelt, die eben nur die sehen, die gelernt haben, loszulassen. Ikarus hätte von den Schamanen etwas lernen können- er vertraute auf seine weltlichen Flügel und somit auf die Welt, die er bereits zu kennen meinte. Wenn wir meinen, die Welt der Schamanen zu kennen, dann sind wir wie Ikarus. Wir verlassen uns auf unsere Flügel aus Wachs und Träumen.