Das Collegium medico-chirurgicum in der Dresdner Neustadt


Im Jahre 1748 wird auf Reskript Kurfürst Friedrich Augusts II. die erste medizinische Ausbildungsstätte Dresdens in der Neustädter Kaserne im Flügel D gegründet. Die Unterbringung innerhalb einer Kaserne zeigt schon, das es dabei weniger um die Forschung im Sinne der heutigen Medizin für "Jedermann" ging, sondern um die Ausbildung von Chirurgen und Wundärzten für die sächsische Armee. Die Schlachtfelder der Zeit waren, wie wir aus zahlreichen spektakulären "Historienfilmen" wissen, ein blutiger Arbeitsplatz der starke Nerven und schnelles Handeln erforderte. Die Vorstellung vom Medizinstudenten im schicken Anzug, der andächtig den Erläuterungen des weiß gekleideten Professor im Rund des Anatomischen Theaters folgt, sind demzufolge wohl eher einem 19. Jahrhundert zuzuordnen. 

Die genaue Beschreibung des Studiums wäre wohl diese:

 

"Wissenschaftliche Ausbildung der Feldscher- und Barbiergesellen in Anatomie, Physiologie, Therapie und Chirurgie"

 

(nach Heidel, Caris-Petra. Vom Stadtkrankenhaus zum Universitätsklinikum - 100 Jahre Krankenhausgeschichte in Dresden, 2010, S. 3)

 

Bereits zur damaligen Zeit gab es auch andere Teilbereiche wie das Hebammeninstitut, ein chirurgisches Hospital und eine kurfürstliche Inventions- und Modellkammer in anderen Flügeln, da es aber in diesem Artikel lediglich um die Geschichte der chirurgischen Lehranstalt hin zum Anatomiestudium der heutigen Zeit geht, möchte ich diese Bereiche ausklammern.

 

Die Lage des Flügels D ist im Stadtplan aus dem Jahre 1862 noch gut erkenntlich:

 

Quelle: Deutsche Fotothek, Kartenforum (public Domain)
Quelle: Deutsche Fotothek, Kartenforum (public Domain)

 

Was für uns heute unvorstellbar wirkt: bis zum Jahre 1786 hatte der Kurfürst noch die Prüfung der Ärzte und ihre Approbation zu erteilen. Wahrscheinlich tat er dies nur per Dokument, aber stellen Sie sich vor, das der Ministerpräsident heutzutage darüber entscheiden würde, wer Arzt sein darf und wer nicht! Mit der Gründung des Sanitaets-Collegii in diesem Jahr ist diese Regelung dann abgeschafft.

 

Die Einrichtung wird bis zum Jahre 1813 bestehen und danach im Jahre 1815 von der Chirurgisch-medicinischen Akademie im Kurländer Palais abgelöst werden.

 

Der Lehrplan für Chirurgen im Jahre 1750

 

Dresden war nicht die erste Einrichtung dieser Art, bereits im Jahre 1685 war in Berlin das "Collegium Medicum" gegründet worden. So kann man wohl auch davon ausgehen, das sich die neu gegründete Ausbildungsstätte an der Erfahrenen, schon lange Bestehenden orientierte und die Ausbildungsthemen im Jahre 1750 wohl annähernd gleichen Inhalts und entsprechend dem Stand der Wissenschaft waren. Ein Fund in den digitalen Sammlungen der Slub entpuppt sich dabei als sehr hilfreich und soll an dieser Stelle, in leicht modern gefasster Form, Einblick in den Lehrplan eines Anatomischen Theaters zu dieser Zeit ermöglichen.

 

Es handelt sich dabei um folgende Abhandlung:

 

D. August Schaarschmidt. "Verzeichniß der Merkwürdigkeiten, welche bei dem Anatomischen Theater in Berlin befindlich sind..." Berlin 1750 

 

Ich bin bereits kurz auf diese Schrift im Artikel zur Barocken Heilkunst eingegangen.

 

Vorangestellt sei erwähnt, das der Dresdner Lehrplan folgende Fächer vorsah und die Ausbildung lediglich 1 Jahr dauerte (!). Man darf diese auch nicht mit einem Medizinstudium gleichsetzen, es ging bei dieser Einrichtung lediglich um die Ausbildung von Ärzten III. und maximal II. Klasse. Diese waren allerdings auch die Landärzte und der erste Ansprechpartner außerhalb der größeren Städte, denn ein studierter Arzt suchte natürlich die Nähe zur gut zahlenden Oberschicht, die damals in den Städten wohnte. 

  • Pathologie und Therapie
  • Anatomie und Physiologie
  • materia medicae (Lehre von den Arzneimitteln, in Dresden wurde diese Vorlesung vom Stadtphysicus gehalten)
  • Chirurgie und Zahnchirurgie

Lehrangebote der "Lehrkräfte" im Studienjahr 1750 am Anatomischen Theater in Berlin:

 

Für alle zarten Gemüter sei an dieser Stelle eine Warnung ausgesprochen- anatomische Leichen wurden in früherer Zeit als Kadaver bezeichnet, und auch andere Begriffe sind gewöhnungsbedürftig... Und falls Sie sich wundern, warum ich das Sommer-und-Wintersemester einiger Lehren getrennt angebe: Anatomische Studien "am Original" wurden nur in den Wintermonaten vorgenommen, dies war temperaturbedingt notwendig, denn verständlicherweise gab es noch keine Kühlhäuser...

 

Dr. August Buddeus, der Zergliederungs-Kunst und Naturwissenschaft öffentlicher Lehrer

 

Wintersemester, jeweils Mo, Di, Do und Fr von 4-6 Uhr:

  • Lehre von den Knochen, den Knorpeln und Bändern anhand frischer Cadaver
  • Lehre von den Muskeln mit Einleitung zur Erkenntnis der Struktur und des Nutzens selbiger
  • Lehre von den Glandeln (Lymphgefäßen) und Eingeweiden sowie Lage, Struktur, Zusammenhang und Verbindung sowie Nutzen eines jeden Organs

Im Sommersemester, gleiche Zeiten:

  • Abhandlung der Naturlehre anhand der gemeinen Wässer sowie acidulus (Sauerbrunnen) und thermis (warme Wässer)
  • Ursprung der Seen und Flüsse sowie wäßrige Luft-Erscheinungen
  • Materie von der Erde

 

Dr. Michael Matthias Ludolff, der therapiae generalis und der Botanik öffentlicher Lehrer

 

Wintersemester, jeweils Mo und Di von 2-3 Uhr

  • Lehre von  der Therapia generali (Heilmittel) mit Eigenschaften, Abteilungen und Wirkungen sowie teilweise der Gebrauch auf Basis der eigenen Schrift: Pharmacologie (1750 hatte er gerade den 2.Teil herausgegeben)

Sommersemester, jeweils Mo und Di von 9-11 Uhr

  • Lehre von der Kräuterwissenschaft sowie Aufbau der Kräuter unter Verwendung der Pflanzen (Exkursionen?) des Botanischen Gartens vor dem Potsdamer Tor
  • Medizinische Verwendung der Kräuter und Unterteilung in: herbas officinalis, non officinales, indigenas, exoticas, recentes und ficcas

 

Dr. Johann Heinrich Pott, der Chemie öffentlicher Lehrer

 

Wintersemester und Sommersemester

  • Lehre von den Chemisch-pharmazeutischen Produkten nach ihrer äußerlichen Beschaffenheit (pharmazeutische Lektionen) jeweils Do und Fr, versch. Zeiten
  • Lehre von den destillierten Ölen, Mineralien und Metallen, die Zubereitung, Anwendung und mögliche Schäden bei falscher Anwendung (physikalische Lektionen) Mittwochs von 11-12 Uhr in der Königlichen Schloß-Apotheke 

Dr. Theodor Sproegel, der Therapie öffentlicher Lehrer

 

Ganzjährig Mo und Di von 3-4 Uhr

  • Lehre von der Abhandlung der langwierigen Krankheiten in Theorie und Praxis (chronische Krankheiten des Kopfes, der Brust und des Unterleibes)
  • Lehre von den Krankheiten mit Ursprung in den verdorbenen Lymphatischen Säften
  • Lehre von der Beschreibung, der Unterscheidung, dem Verlauf und den Kennzeichen, Ursachen und dem Sitz der Krankheiten sowie Prognose und Kur durch Diät und bewährte Hilfsmittel sowie deren Anwendung 

Simon Pallas, der Chirurgischen Operationen öffentlicher Lehrer

 

Wintersemester, Vorträge jeweils Mo und Di von 10-12 Uhr

                            Praxis Do und Fr  von 10-12 Uhr 

  • Lehre der operationes chirurgicas am Beispiel toter Körper mit vorheriger theoretischer Erläuterung des Krankheitsbildes, des Eingriffs sowie der Arzneien und Folge-Diät (im Sinne von Ernährung)
  • praktische Erläuterung der Operationsinstrumente, des Eingriffs am toten Körper mit anschließender Wundversorung  (Verband anlegen)
  • Praxisteil für Studenten mit Arbeit an toten Körpern als Operationes chirurgicam privatim 

Dr. Friedrich Hermann Ludwig Mutzel, der Physiologie und Pathologie öffentlicher Lehrer, "Oberarzt" des Charité- Lazaretts

 

Ganzjährig Do und Fr von 3-4 Uhr

  • Lehre der Physiologie und der Krankheiten, die sich am menschlichen Köper zeigen
  • Praxisteil im Lazarett der Charité (mittwochs ab 8 Uhr, entspricht der heutigen Visite) 
  • Pathologie - Sektionen an widernatürlich Verstorbenen

Dr. Fridrich Mekel, der Zergliederungs-Kunst öffentlicher Lehrer

 

Wintersemester, jeweils Mo, Di, Do und Fr von 9-10 Uhr

  • Lehre der Nekrologie (Todesursachen und Todesstatistik)

Dr. August Schaarschmidt, des Anatomischen Theaters Prosector

 

Wintersemester, tgl. früh von 9-12 Uhr sowie 2-4 Uhr nur mit Termin

  • Privatsektionen für Anatomiestudenten
  • Lehre von den Knochen anhand seiner herausgegebenen Ostheologischen Tabellen als Privatunterricht in seiner Wohnung 

Bleibt noch eine Frage- wohin mit den Cadavern?

 

Der Lehrplan zeigt, das es eine durchaus fundierte Ausbildung war, die zumindest die Grundlagen lehrte. Allerdings ist es fraglich, wie weit ins Details eine Ausbildung gehen kann, wenn sie nur 1 Jahr dauert. Die so ausgebildeten "Ärzte" waren danach theoretisch diejenigen, die entweder im Militär dienten oder aber in Sachsen die Landbevölkerung versorgten. 

 

Es gibt bei all der Anatomie und den Studien am toten Körper weitere Fragen, die noch zu klären wären: Wer waren die Menschen, die zur Obduktion dienten? Wie wurden sie von den Studenten und Ärzten gesehen- im ethischen Sinne? Als Arbeitsmaterial oder mit Respekt vor dem Verstorbenen?

 

Und noch viel entscheidender ist wohl die Frage: Was passiert mit den Überresten? Wurden sie ehrenvoll bestattet oder gibt es da dunkle Geheimnisse in unserer Stadtgeschichte, die jahrhundertelang erfolgreich verdrängt wurden? 

 

Die Thematik der chirurgischen Ausbildung in Dresden mit Hinblick auf die Bestattungskultur ist mit diesem Artikel nur den ersten, vorbereitenden Schritt gegangen. Bleiben Sie neugierig...