Ein dunkles Geheimnis der Wettiner?
Es liest sich wie der wahr gewordene Alptraum. Der Küster hatte Kratzgeräusche gehört. Aus dem Sarg, in dem man am gleichen Tag die erst 20jährige Augusta Constantia, Gräfin von Friesen, in der Schönfelder Gruft bestattet hatte, waren undenkbare Töne gekommen. Er konnte den Sarg nicht öffnen, dafür brauchte es eine Genehmigung. Als es dann soweit war und man nachsah, fand man Kratzspuren am Sargdeckel.
Laut einer Zeitungsmeldung im Jahre 2016 hätte man der Leiche angesehen, das sie nicht friedlich entschlafen war. Die weiteren Details wurden in diesem Artikel genau erläutert und ich erspare mir und Ihnen die Schilderung. Den Umstand, das es die Bild-Zeitung war, die sich in allen Einzelheiten darüber "begeisterte", möchte ich Ihnen nicht vorenthalten.
Und genau an diesem Punkt wird es problematisch. Die Geschichte ist ein Mythos, der noch nicht wissenschaftlich belegt ist, wie es scheint. Es gibt wohl eine ältere Quelle zu den Kratzspuren, die weitreichenden Details, die im Artikel so reißerisch aufgeführt werden, könnten aber einem sehr kreativen Journalistengehirn entstammen. Dafür sind mir bisher keine weiteren historisch oder wissenschaftlich belegbaren Quellen untergekommen und es klingt eher nach der mündlichen Überlieferung innerhalb einer Totengräberdynastie. Manchmal muss man sehr vorsichtig sein, was da berichtet wird. Andererseits steckt hinter jeder Geschichte auch ein Körnchen Wahrheit.
Die Tochter der Cosel und Augusts des Starken
August der Starke hatte mit seiner berühmtesten Mätresse, der Cosel, 3 Kinder. Zwei Mädchen und einen Jungen, der später als Graf Cosel das Coselpalais in Dresden neben der Frauenkirche in seiner heutigen Form errichten sollte.
Die älteste, Augusta Constantia, war 1708 geboren. Als sie gerade einmal 17 Jahre alt war, wird August der Starke sie für eine Ehe mit dem wesentlich älteren Graf von Friesen bestimmen. Die Hochzeit auf Schloss Pillnitz dauerte 1725 fast 3 Wochen und stellte erneut den Prunk- und Machtanspruch des sächsischen Herrschers ausser Frage.
Sie sollte 2 Kinder gebären, wovon der erste Sohn einstmals ein berühmter Maréchal de camp in Frankreich wird- August Heinrich Graf von Friesen. Doch nach der Geburt des zweiten Kindes erkrankt sie an den Pocken. Sie stirbt am 2. Februar 1728 kurz vor ihrem 20. Geburtstag.
Scheintod und Pocken aus historisch- medizinischer Sicht
Aber wie wahrscheinlich ist es, das eine an den Pocken erkrankte Frau für tot erklärt wird und es noch nicht ist? Oder die Diagnose damals aufgrund mangelnder Kenntnisse falsch gestellt wurde?
Die Pocken waren im 18. Jh. nicht nur ein Problem der armen Bevölkerungsschichten, denn selbst Herrscher wie Zar Peter II. und Ludwig XV. starben daran. Die berühmteste Habsburger Monarchin, Maria Theresia musste ihre Bündnispläne durch die beliebte Heiratspolitik mehrfach ändern weil 2 Töchter starben und eine nach der überlebten Krankheit entstellt war. Aber gerade der Tod Ludwig XV., des Vielgeliebten, gibt einen guten Hinweis darauf, wie es durchaus passieren konnte, das man nicht wirklich sicherstellen konnte, das der Kranke wirklich tot war.
Der Schlüssel ist die hohe Ansteckungsgefahr, die von den Pocken ausging. Der so mächtige Ludwig wurde ohne die traditionellen und zeremoniellen Trauerfeierlichkeiten möglichst schnell beigesetzt. Wenn man sich dann die Symptome der Krankheit, vor allem im Endstadium ansieht, dann scheint eine Fehldiagnose durchaus möglich. Erblindung, Gehörlosigkeit, Lähmung und Hirnschäden sowie Lungenentzündung und ein sehr unangenehmer Geruch machen in der Summe eine Diagnose aus der nötigen Distanz und mit damaligen Mitteln wohl schwer.
Dieser Umstände war man sich durchaus bewusst. So veröffentlichte zum Beispiel der Arzt Dr. Christian Wilhelm Hufeland einige Jahrzehnte nach dem Tod Augustas mehrere Schriften zum Thema Scheintod, darin auch Abhandlungen, wie man vor allem bei Pockenkranken verfahren solle, die in eine Ohnmacht fallen und bei denen der Scheintod nicht auszuschliessen wäre. Ob diese Ratschläge wirklich Leben retten konnten ist bei der Schwere des Krankheitsverlaufs und den damaligen Heilungschancen wohl fraglich. Viele überlebten sie, wie Goethe und Mozart zum Beispiel, blieben aber meist lebenslang davon gezeichnet.
Fakt ist, das nur die Pockenschutzimpfung die Krankheit ausrotten konnte. Seit 1980 gilt die Welt offiziell als "pockenfrei". Ob die eingelagerten Proben, um die es immer wieder Streit gab und die als Biokampfstoff Verwendung finden könnten, wirklich unschädlich gemacht wurden, steht auf einem anderen Blatt.
Ein trauriger Irrtum und Einzelfall?
Der Umstand, das Hufeland in seiner Schrift "Der Scheintod: oder, Sammlung der wichtigsten Thatsachen und Bemerkungen darüber,..."
extra auf die Thematik Pocken und Scheintod eingeht legt nahe, das es sich nicht um einen traurigen Einzelfall handelt. Hufeland versucht immerhin fast 80 Jahre nach Augustas Tod und mit den dann vorhandenen Erkenntnissen der Medizin, eine Anleitung zum Verfahren zu geben. Wieviel weniger Erfahrung hatten die Ärzte oder Derjenige, der den Tod der Königstochter feststellte, anno 1728 in einem kleinen Dorf wie Schönfeld?
Wäre es bei Augusta also so gewesen, das sie in eine Ohnmacht sank, nicht mehr ansprechbar war und es nicht möglich war, Lebenszeichen klar festzustellen, dann hätte man sie mit Sicherheit schnellstmöglich bestattet. Und dann ist die Geschichte von der "scheintot begrabenen
Tochter Augusts des Starken" durchaus möglich. Leider.